Zu Gast bei den Mi’kmaq New Brunswick - Kanada Reiseidee, Kultur der First Nations, Miramichi und New Brunswick

Reisebericht - Kirsten Bungart
Zu Gast bei den Mi'kmaq
Metepenagiag Heritage Park

Inspirierend und berührend: Zu Gast bei den Mi’kmaq

Im Metepenagiag Heritage Park in New Brunswick können sich Besucher auf kulturelle Spurensuche begeben und in das Leben der Ureinwohner eintauchen. Im Tipi übernachten, traditionelles Brot backen und den uralten Geschichten der Mi’kmaq lauschen – ein außergewöhnliches sowie berührendes Erlebnis.

Behutsam schiebt Patricia Dunnett glühend heißen Sand über den frischen Brotteig, den sie gerade direkt in die Glut gelegt hat. Die Luft über der Kuhle flirrt. Vorsichtig bedeckt sie das Luskinikn, das traditionelle Brot der Mi’kmaq, dann mit Erde. „Das wird köstlich“, sagt sie strahlend. Hinter ihr fällt ein mit Zedern und Birken bewachsener Hang hinab und gibt einen atemberaubenden Blick über den Fluss frei. In großen Bögen windet sich der Little Southwest Miramichi River durch das dichte Grün von Metepenagiag. Das Reservat ist die älteste Mi’kmaq Gemeinde in New Brunswick. Seit mehr als 3.000 Jahren ist das Volk der First Nation hier beheimatet.

Das ist spätestens bekannt, seit Patricias Großvater, Joseph Augustine, in den siebziger Jahren gleich zwei sensationelle Entdeckungen in der Region machte. Unweit des Ufers stieß er zunächst auf einen uralten Indianer-Friedhof, der später Augustine Mound getauft wurde. Wenige Jahre später fand er rund 700 Meter weiter westlich die Relikte eines vergessenen Fischerdorfes, die Oxbow Site. Die gefundenen Speerspitzen, Knochen, Krüge und Artefakte belegen, dass die Mi’kmaq bereits seit Jahrtausenden auf dem Land ansässig sind. Lange bevor die weißen Siedler kamen, fischten sie hier im Fluss, jagten in den Wäldern und zogen ihre Kinder groß. Beide Fundstätten gelten heute als National Historic Sites von Kanada und die Mi’kmaq sind ihre offiziellen Wächter.

Der Augustine Mound bildet das Herzstück des Metepenagiag Heritage Parks. Mit viel Herzblut leitet Patricia das kulturelle Zentrum, welches im Sommer 2007 errichtet wurde. Für die vierfache Mutter sind die archäologischen Ausgrabungen bedeutsame Meilensteine, die ein kulturelles Beben unter ihrem Volk auslösten. „Als mein Großvater die Funde machte, war den meisten gar nicht bewusst, wie sehr unsere Kultur gelitten hatte. Zu dem Zeitpunkt hatten die Menschen aufgehört unsere Sprache zu sprechen, alte Bräuche wurden nicht mehr praktiziert. Denn lange Zeit wurde uns gesagt, dass unsere Traditionen falsch waren. Aber plötzlich änderte sich das. Als die Funde gemacht wurden, kam neues Leben in unsere Gemeinschaft. Die Menschen erkannten, dass unsere Vorfahren schon mehr als 3.000 Jahre hier gelebt hatten. Sie sahen, dass es vieles gab, worauf sie stolz sein konnten und stolz sein sollten.“

Der Heritage Park ist nicht nur ein geschichtsträchtiger Ort. Es ist eine kulturelle Begegnungsstätte und Treffpunkt für die Metepenagiag-Mi’kmaqs. Besucher können in einer interaktiven Dauerausstellung die Fundstücke begutachten und viel über die Traditionen der First Nation erfahren. Wer will, kann den Archäologen bei der Arbeit zuschauen. Denn noch immer treffen regelmäßig kleine Schätze aus der direkten Umgebung ein, die hier untersucht werden. Manche entpuppen sich als kurios geformte Steine, doch hin und wieder sind echte Pfeilspitzen darunter. Aber es gibt nicht nur Historisches zu bestaunen. Jeder Mitarbeiter des Parks gehört der Mi’kmaq-Gemeinde an. Zusammen pflegen sie nicht nur das Erbe ihres Stammes, sondern helfen sich auch gegenseitig, die Kultur lebendig zu halten. Gerade die Elder, die ältere Generation, spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn nur noch einige wenige Mi’kmaq beherrschen die Sprache ihres Volkes fließend.

Über Jahrzehnte war es verpönt, die Sprache zu sprechen. Die Menschen schämten sich einem indigenen Volk anzugehören. Das Resultat war, dass heute nur noch 85 der rund 600 Mi’kmaq in Metepenagiag die Sprache ihrer Ahnen sprechen können. „Als wir klein waren, wuchsen wir in einem Mi’kmaq Haushalt auf. Wir sprachen nur Mi‘kmaq und kein Englisch. Erst als wir in die Schule kamen, lernten wir richtig Englisch.“, erinnert sich Elisabeth Powell, Patricias Mutter. Zusammen mit den anderen Eldern hilft sie heute, der jüngeren Generation die fast vergessene Sprache des Stammes beizubringen. „Es besteht die Gefahr, dass wir unsere Sprache verlieren. Die Generation derjenigen, die sie noch sprechen, wird alt. Aber es wird viel getan, um die Sprache zu retten. Inzwischen wird Mi’kmaq wieder in Schulen unterrichtet und wir bringen den Jüngeren hier im Zentrum die Worte bei.“ Die Sprache ist der Schlüssel zu der Kultur der Mi’kmaq, denn wie auch bei anderen First Nations sind Geschichten und Bräuche vor allem mündlich überliefert. Doch weil die Ureinwohner angehalten waren, sich der weißen Mainstream-Gesellschaft anzupassen, ging in den letzten 100 Jahren ein großer Teil des Kulturgutes für immer verloren. Gerade noch rechtzeitig fanden die First Nations zu neuem Selbstbewusstsein und zu ihrer natürlichen Lebensweise zurück. Die Augustine-Entdeckungen wirkte sich wie ein Lebenselixir auf die Kultur der Mi’kmaq aus. „Das war ohne Zweifel ein Wendepunkt für unser Volk“, betont Patricia, als sie sich daran macht, das würzig duftende Brot aus der Glut zu heben und es vorsichtig von Sandkörnern befreit.

In Metepenagiag ist der Spagat zwischen Moderne und traditionellem Leben gelungen. Die Menschen zelebrieren mit Stolz volkstümliche Fertigkeiten und lassen die Welt daran teilhaben. „Das Luskinikn ist für uns tatsächlich etwas Alltägliches“, sagt Patricia und bricht das dampfende Brot. Die Rinde ist schön kross, dass weiße Innere wunderbar weich. „Zuhause backen wir es meistens zwar nicht im draußen im Sand, sondern in der Pfanne oder im Ofen. Aber wir bereiten es noch immer so zu, wie vor Jahrhunderten. Das ist keine Show für Besucher, sondern Teil unseres Lebens.“

Der Heritage Park will nicht nur an die jahrtausendealte Geschichte der First Nation erinnern, er will Menschen zusammenbringen und einen authentischen Einblick in die Welt der Ureinwohner geben. Besonders beliebt bei Gästen ist das Ookdotaan-Paket. Ookdotaan ist ein Mi’kmaq-Wort und bedeutet so viel wie Essen kosten. Und genau darum geht es. Die Gäste können das einfache Brot, Elch-Hackbällchen mit wildem Reis und Salbei, saftige junge Farnspitzen und natürlich den traditionellen Tee aus Wintergrün und Zeder probieren und bei der Zubereitung helfen. Da die Mi’kmaq schon immer in Einklang mit der Natur lebten, ist es ganz selbstverständlich, dass alle Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung stammen. Patricia beugt sich herunter und zeigt auf eine der kleinen Wintergrün-Pflanzen. Sie pflückt ein rundes Blatt und zerreibt es zwischen den Fingern – sofort verbreitet sich ein würziges Minz-Aroma. „Unser Tee ist sehr gesund und schmeckt nach Minze“, sagt sie und nimmt einen Schluck aus ihrer dampfenden Tasse. „Die Tour kommt bei unseren Gästen sehr gut an und ist normalerweise auf drei Stunden angelegt. Aber manchmal werden daraus vier oder fünf Stunden. Wir kommen ins Gespräch und wir freuen uns immer, auch etwas über die Menschen zu erfahren, die uns besuchen.“

Wer möchte, kann auch für mehrere Tage auf dem Land der Mi’kmaq verweilen. In der Red Bank Lodge stehen für die Besucher komfortable Zimmer zur Verfügung. Die Verpflegung kommt aus der Region, frischer Lachs aus dem naheliegendem Fluss und Wild aus dem Wald. Wanderwege führen durch die ursprüngliche Landschaft und zu den archäologischen Fundstätten. Ein besonderes Erlebnis ist die Übernachtung in einem echten Tipi hoch über dem Fluss. „Die Leute lieben die Tipis. Sie können abends beim Lagerfeuer sitzen und den Geschichten unserer Elder zuhören“, sagt Patricia und lächelt. „Unser Volk lebt seit mehr als 30 Jahrhunderten hier, es gibt also einiges zu erzählen.“