Kanada Tipps von A-Z: Wilde Tiere - Begegnungen, Verhalten, Fotografieren
von Rainer Schoof

Die wilden Tiere Kanadas machen das Land aus. Respektier, dass du dich im Lebensraum dieser wilden Tiere bewegst. Lass ihnen ausreichend Raum! Wer einem wilden Tier zu nahe kommt, gefährdet nicht nur sich, sondern vor allem auch das Überleben des Tieres. Zudem wird so die Gewöhnung an den Menschen gefördert und die Tiere verlieren das, was sie auszeichnet - ihre Wildheit. Werden wilde Tiere gefüttert oder kommt man ihnen zu nahe, verhalten sie sich häufig unnatürlich. Je größer ihr Gewöhnungsgrad an den Menschen, desto größer auch ihr Aggressionspotenzial. Tiere, die gefüttert werden, gewöhnen sich an Essensgeruch und machen sich früher oder später auch über Abfälle her, was sie wiederum immer näher an den Menschen heranlockt. Kein Wunder also, dass es in den Nationalparks gesetzlich verboten ist, Tiere zu füttern oder zu stören.

Das perfekte Foto
Das perfekte Foto - was tut man nicht alles dafür? Bei Fotos von wilden Tieren kann ich allerdings nur dazu raten, den allergrößten Ehrgeiz im Zaum zu halten. Die Nationalparkverwaltungen raten dazu, Tiere nur aus dem Auto heraus zu fotografieren und grundsätzlich einen Mindestabstand von 30 Metern zu großen Tieren (wie Wapiti-Hirschen) sowie von etwa 100 Metern zu Bären einzuhalten.

Eine weitere Warnung, die man immer wieder sieht, ist die, wilde Tiere nicht zu bedrängen, zu umzingeln oder zu verfolgen. Über Jahre habe ich diese Vorschrift belächelt, da sie für mich immer der Inbegriff der Selbstverständlichkeit war - bis ich mit einer meiner Reisegruppen beobachtete (aus dem Tourvan heraus), wie ein junger Schwarzbär kurz vor der Ortschaft Jasper von geradezu begeisterten Touristen und Schnappschussjägern regelrecht eingekesselt wurde. In breiter Front näherten sie sich dem Tier und als der Bär ins nahe Unterholz zurückwich, wussten einige schlaue Fotografen, wie sie schnell das Wäldchen umrunden konnten, um dem Bären den Weg abzuschneiden. Eine skurrile Situation, in der der Bär plötzlich keinerlei Fluchtweg mehr hatte - und seine Verfolger schienen im Eifer des Gefechts auch nicht bemerkt zu haben, dass sie selbst auch schon lange keinen ausreichend kurzen Fluchtweg mehr hatten. Dies alles war aus unserem Van heraus gut zu beobachten und ich erinnere mich, wie ich zu meiner Gruppe sagte: "So - wir sind zu weit weg und können nichts mehr machen, aber jetzt könnt Ihr bis 10 zählen und dann knallt's." Und als ich dachte, es wäre so weit, machte der Bär einen beinahe schon verzweifelten Ausfallversuch und brach zwischen zwei Verfolgern, die maximal drei Meter auseinander standen und sich mächtig erschraken, durch das Unterholz und entkam. Fast ein kleines Wunder, dass niemandem etwas passiert ist. Doch dieses Ereignis machte mir zwei Dinge noch klarer: Zum einen den starken Willen und Instinkt wilder Tiere, Konfrontationen mit dem Menschen möglichst aus dem Weg zu gehen. Zum anderen die an Respektlosigkeit grenzende und bis zur Selbstgefährdung gehende Ignoranz mancher Touristen. Wenn ich auch selbst bei meinen vielen Bärenbegegnungen häufig auf schmalem Grat wandle, so bin ich mir doch sehr sicher, dass ich niemals den Respekt vor dem Tier verliere und ihm immer ausreichend Rückzugsoptionen lasse.

Wandertouren im Hinterland
Ein Traum gerade in den Rocky Mountains. Um Negativerlebnisse zu vermeiden, solltest du folgende 10 Faustregeln beachten:

1. Wander nicht allein und behalt die Kinder in deiner Nähe.

2. Sei gerade bei Gegenwind besonders wachsam an Stellen mit dichtem Pflanzenbewuchs und an Wasserläufen.

3. Nicht still sein. Bärenglöckchen? Meinetwegen, doch normales Unterhalten und gelegentliches Singen sind meiner Meinung nach effektiver.

4. Halt Ausschau nach Bärenspuren: Losung, Tatzenabdrücke, zerfetzte Baumstämme, umgedrehte Steine oder aufgegrabener Boden. Findest du solche Bärenspuren, verlass die Gegend unverzüglich.

5. Solltest du auf ein größeres totes Tier treffen, verlass unverzüglich die Gegend. Halte dich keinesfalls länger an dem Kadaver auf.

6. Lass Haustiere an der Leine. Ich selbst habe schon beobachtet, wie der Hund meines Stellplatznachbarn weglief und nach einigen Stunden mit einem Bären im Schlepptau zurückkam. Unsere Haustiere können von manchen Tieren als Beute erachtet werden. Häufiger ist jedoch, dass sie den Angriff beispielsweise eines Bären provozieren, um dann schutzsuchend zurückzulaufen - einen ungebetenen Gast im Gefolge.

7. Wähl deine Feuer- und Kochstelle bei Touren im Hinterland so, dass du mindestens 100 Meter von deinem Zeltplatz entfernt liegst.

8. Bewahr Nahrung jeglicher Art in den dafür vorgesehenen Proviantlagern auf. Sind solche nicht vorhanden, versuch deinen Proviant in etwa 4 Metern Höhe aufzuhängen - idealerweise an ein auf 4 Metern Höhe zwischen zwei nebeneinanderliegenden Bäumen gespanntes Seil. Gleiches gilt übrigens für Abfälle, wenn keine bärensicheren Abfallbehälter vorhanden sind. Die Abfälle vor dem Aufhängen möglichst luftdicht verpacken und niemals vergraben oder verbrennen. Verwahr Nahrung jeglicher Art (selbst den noch verpackten Schokoriegel) niemals im Zelt auf. Schlafsäcke und Zelt sollten niemals nach Essen riechen.

9. Nimm nur essenziell wichtige Toilettenartikel mit, wie beispielsweise Zahnpasta, und behandel sie wie Lebensmittel.

10. Angler: Entsorg die Innereien von gefangenen Fischen in Bächen mit schneller Strömung oder an einer tiefen Stelle im See, keinesfalls jedoch in Ufernähe.

Auf dem Wohnmobil-Campground
Letztlich solltest du hier die gleichen Dinge beachten wie im Hinterland. Natürlich findest auf Campground sichere Abfallentsorgungsmöglichkeiten. Lass aber auch hier niemals Lebensmittel herumliegen, sondern verstau sie möglichst sinnvoll. Der beste Platz für Lebensmittel im Wohnmobil ist der Kühlschrank bzw. das Eisfach. Falls du einmal draußen am Picknicktisch spülst, entsorg nachher das Spülwasser trotzdem an den dafür vorgesehenen Stellen. Bedenk, dass ein wildes Tier, das dir auf einem für Fahrzeuge zugänglichen Campground begegnet, in aller Regel einen bereits erhöhten Gewöhnungsgrad an den Menschen aufweist und damit potenziell gefährlicher ist als das gleiche Tier, das dir auf einer Wanderung in der Wildnis begegnet.

Begegnung mit Bären
Bären meiden instinktiv den Kontakt mit Menschen. Doch manchmal lässt sich die Begegnung nicht vermeiden und es kann vorkommen, dass Bären drohen oder sogar angreifen. Bären sind intelligent und schwer berechenbar. Deshalb gibt es kein für alle Situationen passendes Standardverhalten. Wenn Sie nun aber einem Bären begegnen und es zu einer bedrohlichen Situation kommt, sollten Sie die folgenden Grundregeln beachten:

1. Gerate nicht in Panik. Bewahr die Ruhe und sei dennoch laut. Versteck dich nicht, sondern lass den Bären wissen, dass du da bist. Bedenk, die meisten Bären wollen nicht wirklich angreifen. Defensives Drohen signalisiert ein Bär häufig durch Kieferschnappen, Ohrenanlegen und unterdrücktes Bellen. Selbst ein plötzlicher Ausfall in deine Richtung entpuppt sich nicht selten im letzten Moment als ein Bluff.

2. Nimm kleine Kinder sofort auf den Arm.

3. Falls du einen Rucksack oder ähnliches trägst, lass ihn nicht fallen. Er könnte ggf. noch eine Schutzfunktion erfüllen.
4. Sprich mit ruhiger, fester Stimme auf den Bären ein. Stellt sich der Bär auf die Hinterbeine und bewegt seine Schnauze hin und her, so versucht er in der Regel lediglich, dich zu identifizieren. Bleib stehen und sprich mit ruhiger Stimme weiter, um ihm zu signalisieren, dass du keine Beute bist. Mach keine plötzliche Bewegung und schrei nicht.

5. Weich langsam zurück, ohne den Bären aus den Augen zu lassen, allerdings auch ohne den Blickkontakt mit dem Bären zu suchen. Versuch nicht wegzurennen. Dies könnte einen Angriff provozieren. Und ein Bär ist in jeder Situation schneller als du. Verlass im Anschluss die Gegend unverzüglich. Sollte dies nicht möglich sein, warte, bis der Bär sich ausreichend entfernt hat.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es wirklich zu einem Angriff kommt, solltest du möglichst die Situation und deinem Gegner vorher gut eingeschätzt haben. Bei einem Schwarzbären kann es Sinn machen, sich selbst tendenziell aggressiv zu verhalten, indem man laut ruft, droht und mit Ästen oder dergleichen versucht, den Angriff abzuwehren. Ich selbst habe mir in den vergangenen 25 Jahren noch nie Bärenspray gekauft, aber wenn du welches dabei hast, benutz es. Allerdings kenne ich mehr Leute, die sich in eigentlich kaum gefährlichen Situationen mit Bärenspray eher selbst verletzt haben als Fälle, in denen diese Abwehrwaffe sich als wirklich effektiv herausstellte. Im Falle des Angriffs eines kapitalen Schwarzbären oder Grizzlies tagsüber wird bei bereits erfolgter bzw. kurz bevorstehender Berührung häufig empfohlen, sich tot zu stellen, indem man sich auf den Bauch wirft, die Beine spreizt und mit den Armen den Kopf schützt. Ich persönlich habe bei meinen vielen Kontakten und mitunter auch bedrohlichen Begegnungen mit Bären eine solche Situation noch nie erlebt und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand die Coolness besitzt, sich bei einem Grizzlyangriff tot zu stellen. Ich selbst würde es wahrscheinlich jederzeit vorziehen, zumindest zu versuchen, mich in Sicherheit zu bringen oder mich zu verteidigen. Letzteres sollte man bei einem Angriff in der Nacht übrigens ohnehin tun. Der Grund: Bei einer konkreten Attacke (z.B. auf dem Campground) in der Nacht kann man davon ausgehen, dass der Bär auf Nahrungssuche ist und nicht überrascht wurde. Hier geht es dann darum, den Bären wissen zu lassen, dass er kein leichtes Spiel mit dir haben wird. Natürlich ist so etwas extrem selten und kaum dokumentiert.

Begegnung mit Pumas
Pumas ("Cougar" oder "Mountain Lion") sind scheu und selten zu sehen. Sie sind Einzelgänger, meist nachtaktiv und gehen dem Menschen in der Regel aus dem Weg. Bedenk jedoch, dass kleine Kinder durchaus in das Beuteschema eines Pumas passen. Daher solltest du deine Kinder in Puma-Gegenden (z.B. Vancouver Island sowie das ganz südliche B.C.) niemals aus den Augen bzw. allein wandern lassen. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einer bedrohlichen Situation mit einem Puma kommt, beachte die folgenden Grundregeln:

1. Wende dich sich dem Puma zu, weich langsam zurück, stell dich nicht tot und fang nicht an zu rennen.

2. Nimm kleine Kinder unverzüglich auf den Arm.

3. Verhalt dich aggressiv. Mach dich größer, schrei, schwenk drohend einen Stock oder schmeißen Sie Steine nach dem Puma.

Der Vollständigkeit halber - und zur Relativierung der Gefahr durch Pumas: Bei meinen vielen, vielen Reisen in Westkanadas Puma-Gegenden habe ich erst dreimal einen Puma in freier Wildbahn gesehen. Einmal aus der Ferne auf Bahngleisen sowie später beim Durchschwimmen (ja, Pumas schwimmen!) eines Flusses und einmal während einer Tour - spätabends, für drei Sekunden. Gern hätte ich hier ein Kundenbild eines Pumas eingefügt. Doch die Realität ist: Es gibt keins - in mehr als 50.000 Bildern!