Es ist die Zeit der Sommersonnenwende. Die Zeit der langen, warmen Tage. Des Tageslichts rund um die Uhr. Die Zeit, in der die Tiere Junge führen und sich im Fluss unzählige Fische tummeln. Es ist die Zeit, in der die Natur des Nordlandes erstrahlt. Eine Zeit, die geradezu ideal für unser Vorhaben ist. Die perfekte Woche auf dem Yukon River erleben. Intensiv. Und ohne Kompromisse.

Die Nacht war kurz. Die Pubs in Whitehorse zu einladend. Das Yukon Gold einfach zu süffig.
Aber gleich geht es los. Zu zweit wollen mein Kollege Markus Knüpp und ich ab heute im Kanu den Yukon River unsicher machen. Wir haben uns etwas Besonderes vorgenommen: Wir testen "mein" Yukon-River-Package. Lange habe ich recherchiert, bin viele Kunden-Feedbacks durchgegangen. Ja, der Yukon muss ein Traum für Outdoor-Enthusiasten sein. Aber immer wieder auch negative Töne. Von "zu lang" und "teilweise unspektakulär" bis hin zu "langweilig" und "zu breit". Einzelne Flusspassagen werden offenbar unterschiedlich bewertet. Es gilt also, die Rosine zu finden und herauszupicken. Nun, gefunden habe ich sie. Glaube ich. Aber das würde ich mir gern beweisen. Unser Ziel ist also der "Rosinenbeweis". Unser Weg führt im Kanu über den Yukon River. Über Wildnisgenuss pur. Und über möglichst wenig Kompromisse.

"Whitehorse - The Adventure Hub" - ich sollte mir diesen Slogan wirklich schützen lassen. Aber es stimmt einfach: Gerade noch im Hotel und am Vortag erst von einer völlig anderen Wildniswoche zurückgekehrt, stehen wir binnen weniger Minuten an einer der Floatplane Bases am Schwatka Lake. Gerd von Alpine Aviation heißt uns willkommen. Der Buschpilot hüllt gerade unser Kanu in eine Transportplane, bevor es an einem der Floats des Wasserflugzeugs festgezurrt wird. Wir laden unser Gepäck ein. Und dann geht es auch schon los.

Viel Zeit haben und die perfekte Woche erleben.

Das Wetter ist super. Der Start mit dem Wasserflugzeug spektakulär! Eine Schleife über Whitehorse und dann über den Yukon River. Nur kurz, denn dann speist der Fluss den herrlich zu uns hinaufschimmernden Lake Laberge. Kein Zivilisationszeichen mehr. Binnen weniger Minuten ist man in der Wildnis. Den Lake Laberge durchpaddeln? Klar, machen die meisten. Doch genau das wollen wir nicht. Zwar ist es ein wunderschöner See, aber als langes, stehendes Gewässer bis zum Wiederaustritt des Yukon River auch zeitraubend. Und windanfällig. Ein zu großes Risiko für uns, denn wir wollen auf dem Yukon River viel Zeit haben und die perfekte Woche erleben. Also fliegen wir. Mit dem Kanu huckepack direkt zum Austritt des Yukon aus dem Lake Laberge. Gerade einmal zwanzig Minuten nach dem Start landen wir genau an dieser Stelle. Klasse! Dieser Teil des Plans ist schon mal aufgegangen.

Kein Mensch weit und breit. Irgendwie ein komisches Gefühl. Aber ein gutes Gefühl.

Klar, die Wildnis und ihre Einsamkeit beeindrucken, aber es überwiegt die Vorfreude. Mich überkommt ein regelrechter Drang, jetzt endlich loszupaddeln. Rauf auf den Fluss. Hinein in die Wildnis! Markus geht es genauso. Schnell haben wir das Wasserflugzeug entladen. Gerd schmunzelt über unsere Biervorräte, die uns selbst gar nicht so üppig vorkommen. Dennoch schenken wir ihm ein Case unseres guten Molson Canadian. Als Dankeschön für den tollen Flug und die Punktlandung an unserer Wunschstelle. Und dann wünscht uns Gerd viel Spaß auf dem Fluss und springt ins Flugzeug. Aber der Motor startet nicht. Nicht beim ersten Mal. Nicht beim zweiten Mal. Und nicht beim dritten Mal. "Maximal noch einmal - dann ist die Batterie platt!" hören wir Gerd fluchen. Doch der letzte Versuch sitzt. Langsam tuckert er den Fluss hinunter, um dann gegen die Strömung zu starten. Markus sitzt neben dem Kanu und blickt dem Flieger hinterher. Jetzt gibt es nur noch uns beide, das Kanu und den Fluss. Aber genauso wollten wir es ja. Das Boot ist superschnell gepackt. Schon früher haben wir beide Kanutouren in Westkanada geführt - da weiß man genau, wo am besten welche Kisten und Gewichte zu verstauen sind. Und das Finetuning macht man erst am zweiten Tag, wenn man gesehen hat, wie die Lage des Kanus im Wasser noch optimiert werden kann. Ist wie Fahrradfahren - so etwas verlernt man nicht. Es geht los. Super Wetter. Kristallklares Flusswasser und Stille. Wir sind euphorisch. Es ist so schön, wieder im Kanu auf dem Fluss zu sein. Der Yukon hat eine perfekte Fließgeschwindigkeit. Man kommt gut voran, wenn man will und paddelt. Aber auch, wenn man gar nichts tut, ziehen die Kilometer an einem vorbei. Für heute Abend haben wir ein "Sicherheits-Steak" dabei, würden aber lieber Fisch essen. Also beide Angeln raus, aber es tut sich nichts. Ich peile einen Geröllhang an. Geröll und Steine im Wasser sorgen für besonders klares Wasser, was die Forellen lieben. Also kurz angelandet und es dauert keine fünf Minuten, da zappelt es an der Leine. Dann nochmal. Und nochmal. Unser Fisch-Dinner steht!

Wir paddeln weiter und meistern das erste etwas bewegtere Wasser. Nichts Bedrohliches - nur so, dass man ein bisschen aufpassen muss und es eigentlich richtig Spaß macht. Oops - und da zappelt es auch schon wieder an der Angelleine! Jetzt klappt's auch aus dem Kanu heraus. Es ist heiß geworden. Der Fahrtwind auf dem Fluss tut gut. Wir sind immer noch ganz allein. Sehen herrliche Landschaften am Ufer. An einer Insel beschließen wir spontan anzuhalten. Fisch schmeckt doch immer noch am besten, wenn er ganz frisch ist. Und zum Dinner werden wir ja dann wohl später noch ein paar Fische fangen. Schnell etwas Treibholz gesucht, ein Feuer gemacht und die gusseiserne Pfanne drauf. Mhhh - echt lecker! Während wir noch faul in der Sonne sitzen, passieren uns die ersten Menschen. Ein Pärchen im Kanu und sie legen sich mächtig in die Riemen. Haben kaum Zeit zu uns rüberzuwinken, was ja eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz auf dem Fluss ist. Naja, wer weiß, wo die heute noch hin müssen.

Gerade zurück auf dem Fluss zwingt uns ein schnell heranziehendes Gewitter zurück ans Ufer. Doch so schnell, wie es gekommen ist, ist es schon überstanden und wir paddeln weiter. Also, so richtig aktiv sind wir eigentlich nicht. Es ist einfach zu schön. Gerade diese Stimmung nach dem Gewitter. Die Luft ist frisch - wenn sie überhaupt frischer als vorher sein kann - und alles sieht so satt aus. Satt grün die Bewaldung am Ufer und satt türkis-blau das Flusswasser. Das ist übrigens lecker! Die erste Pausenbierdose wurde direkt zum Schöpfbecher umfunktioniert. Haben wir Durst, tauchen wir die Dose neben dem Kanu ins Wasser und trinken das Wasser direkt aus dem Fluss. Definitiv besser als Flaschenwasser.
Unterwegs springen uns die nächsten vier Polaräschen ins Kanu. Dann neue Regenwolken. Mit den ersten Tropfen beschließen wir, am Ufer ein Camp zu suchen. Auf unserer Flusskarte sehen wir eine Stelle, die handschriftlich mit "good camp" markiert ist. Hier landen wir an - und sind überrascht. Es handelt sich um ein grob eingerichtetes Camp. Die Kanadier nennen das "semi-developed". Es gibt zwei Toilettenhäuschen und man kann Feuerstellen erkennen - teilweise sogar richtige Eisenringe mit Rost. Und Campingtische! Das ist echter Komfort in der Wildnis.

Es sieht nach stärkerem Regen aus. Schnell bauen wir die Zelte auf, bevor es losprasselt. Aber es hört genau so auf, dass wir noch in den geliebten Camp-Rhythmus kommen: Feuer an, Pfanne drauf und Butter bei die Fische - im wahrsten Sinne des Wortes. Lecker. Sogar die Sonne kommt noch kurz heraus, so dass wir noch schnell alles Nasse in die Zweige der umstehenden Bäume hängen. Ein schöner Abend. Doch irgendwann fordern der lange Tag, die frische Luft und die Sonne ihren Tribut und wir kriechen erschöpft in unsere Zelte. Ach, auch mal wieder schön, so eine Nacht im Zelt. Mit dem Gurgeln des Flusses und all den Geräuschen. Irgendwo auch ein leises Grollen. Gewitter? Nein, wohl bloß der Rest von vorhin. Denke ich noch so und schlafe ein. Von wegen! Ordentlich gescheppert hat es in der Nacht. Mächtig hat es nachts auf die Zeltplane geprasselt. An Schlaf war da kaum zu denken. Eine interessante Erfahrung, denn trotz Gewitter war es auch mitten in der Nacht so hell, dass man durch die Zeltplane noch Umrisse wie die sich biegenden Zweige erkennen konnte. Aber das Zelt hat dichtgehalten. Draußen ist alles nass. Aber die Sonne scheint, das gute Wetter ist zurück.

Ich pelle mich aus meinem Zelt und blicke mich um. Im Augenwinkel registriere ich eine Bewegung. Weiter hinten im lichten Wald. Langsam pirsche ich mich die etwa hundert Meter heran und staune nicht schlecht. Eine Elchkuh ist uns besuchen gekommen. Friedlich grast sie zwischen den Toilettenhäuschen. Friedlich? Nicht wirklich, sie scheint nervös, aber ich scheine nicht der Grund zu sein. Ständig klappt sie die Ohren in die mir entgegengesetzte Richtung. Und dann höre auch ich ein Ästeknacken aus dieser Richtung. Aber ich kann nichts sehen. Habe natürlich längst die Kamera gezückt. Das Tier posiert prächtig für mich. Finde auch die Einstellung mit den Toilettenhäuschen witzig. Markus steht inzwischen auch mit der Kamera neben mir. Die Elchkuh ist derweil ein Stück gewandert und wir erkennen den Grund ihrer Nervosität: Sie führt ein Jungtier. Das war so gut in der halbhohen Busch- und Strauchvegetation des lichten Waldes versteckt gewesen, dass es mir zunächst gar nicht aufgefallen ist. Hmmm, hätte ich das gewusst, wäre ich wohl nicht so nah herangegangen. Es gibt eigentlich in der kanadischen Wildnis nicht viel, vor dem ich mehr Respekt habe, als vor eine Elchkuh mit Kalb! Naja, ist ja alles gut gegangen. Wir lassen den Elch in Ruhe und gehen zurück zum Camp. Um alles, was nachts draußen nass geworden ist, in die wärmenden Sonnenstrahlen zu hängen. Und natürlich, um das Campfeuer anzuzünden und ein zünftiges Kanutenfrühstück zu zaubern. Bacon and Eggs. Yummie!

Voller Tatendrang bauen wir das Camp ab. Alles ist wieder trocken. Auch die Zelte können wir trocken wieder einpacken. Jeder Camper weiß, wie viel das wert ist! Das Feuer ist aus und das Kanu ist gepackt. Leichte Änderungen haben wir bei der Gewichtsverteilung vorgenommen - jetzt sollte unser Boot noch besser (gerader) im Wasser liegen. Es kann zeitig losgehen - super. Andererseits, zeitig wofür? Uns ist es doch völlig egal, wie weit wir heute kommen. Wir haben überhaupt keinen Zeitdruck. Halten dort, wo es uns Spaß macht, um uns an Land umzusehen oder an der ein oder anderen vielversprechenden Stelle ein bisschen zu angeln. Wirklich nur ein bisschen, denn auch heute springen uns die Fische wieder ins Kanu.
Irgendwann passieren wir den Zufluss des Teslin River. Der Yukon wird breiter und das Wasser scheint nicht mehr ganz so klar zu sein. Eine gute Landmarke, finden wir, um zur "Mittagspause" an Land zu gehen. Wir haben Geschmack gefunden an den ganz fangfrischen Polaräschen! Es ist halb sieben abends. So ist das halt. Herrlich, im Grunde. Was kümmert uns hier die Zeit? Ein endlos langer und schöner Tag auf dem Yukon River. Das Zeitgefühl ist uns nun völlig abhanden gekommen. Schon lange hätten wir uns ein Camp am Ufer suchen sollen. Aber wir haben einfach noch keine Lust. Es ist viel zu schön. Inzwischen bin ich überzeugt, dass wir mit dem Juni absolut den richtigen Monat für diese Kanutour gewählt haben. Die Mitternachtssonne als Phänomen ist ohnehin einmalig. Aber die Flexibilität, für die sie auf so einer Wildnistour sorgt, ist einfach nur fantastisch.

Wir paddeln eigentlich schon lange nicht mehr. Lassen uns nur treiben und genießen die Szenerie. Sie zieht an einem vorbei wie auf einer unendlichen Kinoleinwand. Man kann den Blick nicht abwenden. Man muss auch gar nicht reden. Gut, das könnte auch so ein "Männerding" sein. Einfach nur schauen und genießen. Und sich immer wieder klarmachen, dass man es selbst ist, der gerade diesen Wildnistraum erlebt. Das ist kein Bildschirm! Im Grunde bräuchte dieser Tag eigentlich gar nicht zu enden. Doch so langsam dringt die Vernunft in unser Bewusstsein - wir sollten nach einem Camp Ausschau halten. Wir scannen das Ufer rechts und links - man hat ja inzwischen Ansprüche an seinen Lagerplatz. Ein bisschen Schutz durch Bäume wäre gut, aber keine zu dichte Bewaldung. Schön weicher Boden, aber nicht zu hohes Gras. Angenehm und sicher erhöht für eine gute Sicht und um sicher vor steigendem Wasser zu sein. Aber keine zu steile Böschung, um die schweren Kisten nicht zu weit schleppen zu müssen.

Auf der Suche nach dem perfekten Lagerplatz fällt uns eine kleine, nicht einsehbare Bucht auf. Anlegemanöver. Idealerweise versucht man, in den "Eddy" - den Rückstau - hinein und damit aus der Strömung heraus zu gelangen. Das Kanu gedreht und ein paar Meter zurückgepaddelt und hinein in die Bucht. Überraschung! Der Platz wäre perfekt für ein Lager, aber er ist schon belegt. Von Anita und Andi aus der Schweiz, die mit ihrem Sohn Florian hier vor Anker gegangen sind. Und dies mit einer beeindruckenden Floßkonstruktion! In Whitehorse haben sie drei alte Kanus mit Balken verbunden und eine einfache Segelkonstruktion aus Planen aufgesetzt. Damit sind sie dann über den Lake Laberge gesegelt und haben sich dann vom Yukon hierher treiben lassen. Eine sichere Anlegestelle vor einem ehemaligen Waldbrandgebiet. Um ihr Floß fertigzustellen, haben sie 140 verkohlte Baumstämme aus dem Wald gezogen und einzeln abgeschält. Sie wollten keine lebenden Bäume schlagen. Ihr Ziel ist Dawson City - vier Wochen haben sie sich für dieses Abenteuer gegeben. Ich find's super! Man trifft schon echte Typen hier oben im Norden!

Wir unterhalten uns noch ein bisschen und paddeln dann weiter. Irgendwie haben wir immer noch Lust auf den Fluss. Es ist nach zehn und wir beschließen, dass es auch völlig ausreicht, wenn wir um Mitternacht anlegen. Und so kommt es dann auch. In einem weiteren, älteren Waldbrandgebiet mit bereits nachgewachsener Vegetation - echtem Buschland - gefällt uns das weite, lange Ufer einer Flusskurve. Guter Platz für die Zelte. Jede Menge Treibholz. Ran ans Ufer. Erst die Zelte, dann das Feuer, dann die Fische. Dann das Bierchen. Feierabend am Yukon River. Es ist ein Uhr nachts - und taghell.

Die lange Nacht auf dem Fluss fordert ihren Schlaftribut. Ohne etwas abgesprochen zu haben, schlafen Markus und ich heute bis kurz nach acht. Ewig lang für die Wildnis! Über Nacht sind die Temperaturen mächtig runtergegangen - bis zwei Grad hat Markus gemessen - so dass man auch endlich mal wirklich gut im Schlafsack schlafen konnte. Jetzt ist es wieder warm. Angenehm träge sitzen wir auf unseren Kisten und blicken über den Fluss. Frühstücken - gute Idee. Ach, unsere Steaks! Seit zwei Tagen essen wir ja nur Fisch. Ganz unten am kühlen Kanuboden hatten wir das Fleisch in unserer Provianttonne gelagert. Aber weg müssen die Steaks so langsam schon. Also, heute Steak and Eggs. Wir werden ja praktisch gezwungen - und wehren uns nicht.

Aber vorher nun endlich mal ins Wasser. Das seichte Uferwasser hat kaum Strömung. Perfekt, um einmal unterzutauchen. Wir beide natürlich. Nacheinander. Ist quasi ein altes Ritual zwischen uns. Egal wie kalt das Wasser ist - immer wenigstens einmal rein. Am besten man ist der Erste. Sich auf jeden Fall keine Blöße geben. Heute mache ich das Rennen. Und es ist kalt! Bitterkalt. Es bleibt beim bloßen Untertauchen, aber man fühlt sich natürlich herrlich, wenn man rauskommt. Es ist sowieso ein toller Morgen. Man glaubt kaum, wie heiß es jetzt schon wieder ist. Mit bloßem Oberkörper packen wir die Ausrüstung zusammen und planen schon den nächsten Sprung ins kühle Nass. Das abgeschnittene Fett von unseren Rib Eyes verbrennen wir ordnungsgemäß im Campfeuer. Wie es sich gehört. Keine wilden Tiere sollen lernen, dass es an den Menschencamps Leckeres zu finden gibt. Vor allem keine Bären. So liegen wir also gerade in den letzten Zügen unseres Campabbaus, als unsere neuen Schweizer Freunde mit ihrem Floß an uns vorbeigleiten. Großes Hallo über den Fluss hinweg. Hammer, denke ich. Sowas will ich auch noch mal machen. Mit meinen Kindern. Wieder ein neuer Plan. Ist doch wirklich gut, dass die nie ausgehen.

Heute wollen wir nur ein kurzes Stück auf dem Fluss hinter uns bringen und die Sonne und den strahlend blauen Himmel an einem schönen, noch zu entdeckenden Strand genießen. Der Yukon wird langsam immer breiter. Es wird immer schwieriger, die Polaräschen zu finden und für unser Mittagessen zu sorgen. Aber wir haben inzwischen Übung. Wir finden den ein oder anderen vielversprechenden Eddy, und immer noch oft genug zappelt es an unseren Angelleinen. Als wir Ausschau nach einer geeigneten Pausenstelle halten, fällt uns eine große Kiesbank auf. Der Hauptstrom fließt links vorbei und nur ein kleiner Seitenarm rechts. Das gefällt uns, zumal das Wasser nach rechts flacher wird und sehr einladend aussieht. Also, angelandet und ab ins Wasser. Klar, splitterfasernackt. Warum auch nicht? Hier ist doch kein Mensch! Das Wasser ist immer noch mächtig kalt, aber das empfinden wir heute als richtig angenehm, so heiß ist es inzwischen. Ein Super-Platz für unser mittägliches Lagerfeuer. Es gibt jede Menge Treibholz und dennoch droht auf der weiten Kiesfläche keine Gefahr, dass ein Feuer um sich greift. Fish Fry, einmal mehr. Aber auch davon können wir nicht genug bekommen. Einigermaßen faul sitzen wir an einen Treibholzbaumstamm gelehnt auf unserer Sandbank und lassen die Umgebung auf uns wirken. Echt schön. Das geübte Auge erspäht sofort potenzielle Zeltplätze. Warum eigentlich nicht? Genau, wir fahren gar nicht mehr weiter. Wir bleiben einfach hier. Uns treibt doch keiner!

Nachdem ich den letzten Zelthering eingeschlagen habe, schweift mein Blick hinüber zu der Uferstelle, an der ich gleich zum zweiten Mal ins kühle Nass springen will. Aber was ist das? Erkenntnis und Adrenalin schießen mir fast gleichzeitig ins Hirn. Mein Blick wird erwidert. Von einem ausgewachsenen Schwarzbären! Das mächtige Tier steht auf der anderen Flussseite. Bachseite muss man ja eigentlich eher sagen, denn das uns trennende Wasser ist ja nur etwa 15 Meter breit und lediglich knietief. Instinktiv scanne ich Standrichtung, Bewegungen und Mimik des Bären. Noch bevor ich Markus Bescheid sage, bin ich mir sicher, dass es der Plan des kapitalen Bären war, an dieser furtähnlichen Stelle ein Bad zu nehmen und hinüber auf die Sandbank zu kommen, um diese nach Nahrung abzusuchen. Ist wahrscheinlich seine Tagesroutine. Und nun stehen wir mitten im Weg. Ich rufe zu Markus herüber: "Ein Schwarzbär - dort drüben. Pass auf - er überlegt, ob er rüberkommt." Markus dreht sich um, sieht den großen Bären sofort und ruft zurück: "Ja, sieht so aus!" Tja, und wie es dann immer so kommt: Sollte der Bär während des ersten Blickkontaktes mit mir noch überlegt haben, ob es sich um ein akzeptables Risiko handelt, ist der zweite Mensch und die einsetzende Kommunikation dann zu viel für ihn und er entschließt sich zum Rückzug. So schnell bekommen wir gar nicht die Kameras gezückt. Als ich meine in der Hand halte, ist von dem Bären nichts mehr zu sehen. Eine gute Minute später sehe ich ihn nochmal kurz höher am bewaldeten Berghang. Kein gutes Foto, aber ein Beweisbild!

Na, bitte! Da haben wir doch unseren Bären auch auf dieser Tour gesehen. Check! Und auch ansonsten wird es ein herrlicher Nachmittag und Abend. Es wird nicht dunkel, aber die Sonne brennt nicht mehr so stark und am knisternden Lagerfeuer kommt heute noch einmal so richtiges Wildnis-Feeling auf. Noch mehr als sonst. Liegt vielleicht an unserem Lagerplatz. Die Sandbank erlaubt einen weiten Blick in alle Richtungen. Wo man hinschaut, man sieht nur Wildnis. Wasser, Wald und die einsame Insel. Traumhaft. Und dennoch geht es heute früh ins Zelt. Morgen möchten wir ganz früh los. Und wir merken, dass wir heute etwas zu viel Sonne abbekommen haben. Fühle mich leicht beduselt. Also, raus aus der Sonne, rein ins Zelt und ausruhen. Schlafen.
Der Plan geht auf. Ganz früh morgens sind wir schon auf den Beinen und bauen unsere Zelte ab. Wir sind begeistert, dass es über Nacht praktisch keine Feuchtigkeit gegeben hat. Die Zelte können auch so früh schon trocken eingepackt werden! Dann ein Traummorgen auf dem Yukon River.

Unser letzter voller Tag auf dem Fluss. Morgen wollen wir in Carmacks ausbooten. Also heute noch einmal in vollen Zügen genießen. Der frühe Start beschert uns tatsächlich einige schöne Tiersichtungen. Adler, Biber und natürlich die Fische, die auch heute schon bald wieder an unserer Angelleine zappeln. Der Fluss ist inzwischen so breit, dass man die Fischgründe nun richtig suchen muss. In der Flussmitte macht es überhaupt keinen Sinn mehr. Und noch eine Änderung: Abgesehen von den ganz frühen Morgenstunden sind wir heute auf dem Fluss nicht mehr ganz allein. Immer mal wieder sehen wir andere Kanuten. Drei, vier - über es fällt uns auf nach der Einsamkeit der Vortage. Zeit für unsere mittägliche Fischpfanne. Heute bringen wir ernst zu nehmenden Appetit mit, schließlich sind wir schon lange unterwegs. Aber kein Problem, wir haben gut gefangen. Schon fällt uns die nächste kleine Insel auf. Wieder jede Menge Treibholz und weite Kiesflächen für ein risikofreies Campfeuer. Markus hat das Zubereiten der Fische inzwischen perfektioniert. Sie gelingen nun immer so, dass man sie auch getrost in einem Feinschmeckerrestaurant servieren könnte. Ja, wir leben hier nicht so schlecht.

Weiter auf dem inzwischen mächtigen Strom. So langsam dämmert uns, dass wir den schönsten Teil des Flusses hinter uns haben. Wenn man jetzt so in der Flussmitte dahintreibt, kann man sich zwar immer noch an der Wildnis rechts und links begeistern, aber so richtig Abwechslung in der Landschaft gibt es nicht mehr. Gegen Abend checken wir den ein oder anderen Lagerplatz. Es wird immer schwieriger, die Eddies gut zu erwischen. Die Strömung des Yukon ist inzwischen sehr stark. Einige Lagerplätze beeindrucken uns. Aus Stämmen und Ästen sind hier teilweise kunstvolle Einrichtungen gezimmert. Tische, Bänke, Arbeitsflächen. Und einige Camps scheinen sogar recht groß. Aber so richtig ist für uns nichts dabei. Das liegt aber wohl eher daran, dass wir uns noch nicht so richtig entschieden haben, ob wir die letzte Nacht in der Wildnis genießen oder doch schon bis Carmacks durchpaddeln wollen. Erst tendieren wir zur Wildnis. Aber dann finden wir auch die Idee verlockend, uns heute Abend schon einen Burger servieren zu lassen. Irgendwann nennen wir das Kind dann beim Namen: Auf nach Carmacks. Burger, gezapftes Bier und morgen früh ausreichend Zeit, um in Ruhe zusammenzupacken. Wir beschließen, uns ein letztes Mal in der Mitternachtssonne treiben zu lassen. Mittels Karte und Fließgeschwindigkeit haben wir errechnet, dass wir wohl gegen Mitternacht in Carmacks ankommen sollten. Picknick auf dem Fluss, das ist unser Plan. Jeder hat sein Taschenmesser gezückt und aus unserer Provianttonne haben wir herausgekramt, was noch zu finden war. Ein Brot, Wurst und Käse. Perfekt für eine Brotzeit im Kanu. Wir lassen uns treiben, genießen Landschaft und Brotzeit und trinken unser letztes Bier. Was für ein perfekter Abend! Was für ein herrlicher Abschluss dieser Tour! Drei Stunden noch bis Carmacks.

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der herrliche Abendhimmel verdunkelt sich. Erst langsam. So, dass man sich selbst noch mit den üblichen Durchhalteparolen Mut macht. "Das zieht vorüber." oder "Vielleicht haben wir Glück und tauchen genau drunter her." Doch dann fallen die ersten Tropfen. Kurz darauf gesellt sich ein auffrischender Wind dazu. Weit vor uns sehen wir eine Sandbank in einer Flusskurve. Vielleicht doch dort noch einmal das Camp aufschlagen? Macht wahrscheinlich Sinn. Doch als wir dort sind, sehen wir, dass der Platz schon von den Kanuten belegt ist, die uns vorher überholt haben. Also weiter. Der Wind wird stärker. Wir peilen eine Stelle an der rechten Uferseite an. Hier soll es laut Karte eine gute Campstelle geben. Wir finden sie und schaffen auch eine vorzeigbare Landung am Ufer trotz starker Strömung. Doch irgendwie gefällt uns auch diese Stelle nicht. Zu vermückt und weit oben auf der Böschung. Also weiter. Ein Fehler. Der Regen wird stärker und der Wind peitscht nun über den Fluss. Der Yukon ist hier riesig, und richtig windanfällig. Es wird sturmartig und die Wellen laufen schräg gegen das Kanu - ungünstig. Früher hätte man sich wahrscheinlich noch zu einer Dummheit hinreißen lassen, aber heute im fortgeschrittenen Alter ist uns sofort klar: Feierabend. Kein Risiko. Direkt ran ans Ufer, Kanu sichern und Camp aufschlagen, egal, ob die Stelle gut ist oder nicht. Und so kommt es, dass wir an einem fast identischen Steilufer wie vorher anlanden und doch alles die Böschung hochwuchten müssen. Es plästert nun richtig. Zu stark, um die Zelte aufzubauen. Wir suchen Schutz unter den größten Bäumen und nutzen das erste leichte Nachlassen des Regens. Zelt aufgebaut, alles rein. Ende.

Der Regen prasselt aufs Zelt und es ist zum ersten Mal ansatzweise dunkel. Als ich dann im Schlafsack liege, denke ich: Gut so. Richtige Entscheidung. Kein Risiko. Dann lieber morgen früh noch ein bisschen paddeln und das ein oder andere nass einpacken. Definitiv das kleinere Übel.

Der Sturm hat sich gelegt. Wir sind wieder entspannt. Auch wenn wir die Zelte nass einpacken müssen. Weit ist es nicht mehr bis Carmacks. Vielleicht noch zwei Stunden. Unterwegs sehen wir unsere Schweizer Flößer wieder. Sie liegen noch vor Anker und scheinen noch zu schlafen. Drum lassen wir uns ohne großes Rufen vorbei treiben. Carmacks kommt immer näher. Ich stelle fest, dass ich auf dem Handy ab und zu schon wieder Empfang habe. Das ist gut, denn so können wir unseren Freund Karsten anrufen und unsere geplante Ankunft bestätigen. Er kommt dann aus Whitehorse hoch, um uns samt Kanu aufzusammeln.

Während wir uns die letzten Flusskilometer treiben lassen, lassen wir dieses Kanuabenteuer noch einmal Revue passieren. Wir waren auf der Suche nach dem perfekten Wochenpackage auf dem Yukon River - und wir haben es gefunden. Da sind wir uns einig. Eine Nacht in Whitehorse zum Ankommen und organisieren, dann der Flug über den Lake Laberge und das Einbooten am Ausfluss des Yukon. Dann satte fünf Tage für den Fluss, um sich Zeit zu lassen, wo immer man will. Und eine Abschlussnacht wahlweise auf dem Campground oder im Hotel in Carmacks. Zum duschen, sortieren und packen.

Und so endet unser Abenteuer in Carmacks. Wir sparen uns die eigentlich vorgesehene Übernachtung, da wir uns abends in Whitehorse mit Freunden treffen wollen. Jetzt scheint aber erst einmal wieder die Sonne und wir haben Gelegenheit, alles noch einmal zum Trocknen auszubreiten und auch die Zelte noch einmal in der Sonne aufzustellen. Wir trocknen, packen und organisieren uns. Und ein stattliches Pulled-Pork-Sandwich holen wir uns an der Burgerbude des Campgrounds natürlich auch noch. Und dann kommt Karsten und es geht mit dem Van und dem Kanu auf dem Dach zurück nach Whitehorse.
Was für ein Wildnisabenteuer! Wie aus dem Bildband. Das wiederhole ich bald. Und zwar genau so. Genau diese Etappe. Vom Ende des Lake Laberge bis Carmacks. Für mich ist der Beweis erbracht. Wir haben die Rosine im Yukon gefunden.

Kanadafieber 1: Eine Woche auf dem Yukon River

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Landung auf dem Fluss

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Ausgesetzt in der Wildnis

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Gewitterpause am Fluss

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Aufbruch vom ersten Camp

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Mittagspause um halb acht

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Paddeln und Staunen

Yukon River Kanutour Rainer und Markus: Sandbank-Camp im Yukon River