Einen Tag eher als unsere Familien landen Markus und ich in Vancouver. Bevor unser Familienabenteuer beginnt, steht für uns das alljährliche "Gipfeltreffen" bei unserem Partner Traveland RV an. Jetzt aber erst einmal ab in den Shuttle zum Pacific Gateway Hotel. Schönes Hotel, gutes Zimmer. Und halt das Pier 73 - das beste Argument für dieses Hotel. Über den Boardwalk hinüber zum Wasser und dort auf die Rundum-Terrasse des kreisrunden Restaurants. Ein kühles Bier und, natürlich, meine geliebten Seafood Linguini. Durchschnaufen. Ankommen. Kanada einatmen. Und dann ab ins Bett!

Text: Rainer Schoof  Fotos: Rainer Schoof, Mirjam Schoof und Markus Knüpp


Natürlich rächt sich das frühe Zubettgehen! Um vier Uhr morgens ist für mich Schluss mit Schlafen. Ran ans iPad - ran an die Emails. Ob Markus auch schon wach ist? "Frühstücken?" meine knappe Mail an ihn. Minuten nach dem ebenso kurzen "Yes" zurück sitzen wir schon vor unseren "Eggs sunny side up". Wir profitieren von der Airportnähe des Hotels. Klar, hier muss es schon ab fünf Uhr morgens Frühstück geben. Super für Jetlagger!

Schon um kurz nach sieben kommen wir bei Traveland in Langley an. Kein Problem für Monika Krüger - sie ist ohnehin ein echter "Early Bird". Strahlend kommt die Rentals Managerin uns entgegen. "Herzlich willkommen, Ihr beiden!" Na, die ist ja richtig gut gelaunt! Ich frage, ob das tolle Wetter der Grund für ihr Strahlen sei. "Das Wetter ist klasse", sagt sie, "aber ich freue mich vor allem über den Start der Saison. Einfach toll, wenn die Wohnmobile nach und nach vor die Tür rollen. Wenn die vielen aufgeregten Leute hier ankommen und sich über ihre Autos freuen. Und es endlich Gesichter zu den Namen in den Reservierungen gibt. Ist für mich irgendwie greifbarer, realer." Gute Einstellung, denke ich, und folge ihr gespannt zu unseren beiden Navions. Wir inspizieren die Fahrzeuge und sind einmal mehr begeistert von pfiffigen Extras wie zum Beispiel Scheiben-Plissees im Cockpit. Viel besser als die üblichen Vorhänge: Man kann das Mobil blickdicht machen, ohne das Cockpit abzutrennen.

Unser Meeting mit Traveland-Inhaber Dale Howes, seinen beiden Söhnen Chris und Brad sowie Monika und Samuel von der Rentals-Abteilung wird produktiv. Für 2017 besprechen wir einiges Neues. Alle sind begeistert von meiner Idee, zukünftig E-Bikes nebst Träger als Extra für die Wohnmobilmiete anzubieten. Zufrieden machen Markus und ich uns auf den Weg zurück zum Pacific Gateway Hotel - in unseren beiden Navions!

Die Familien sind angekommen. Meine Frau Mirjam mit unseren Kindern Anna (9) und Felix (10) sowie Markus' Frau Britta mit den beiden Kindern Julius (9) und Helena (12). Und kaum fahren die beiden Navions vor, starten dann auch die üblichen Diskussionen mit den kleinen Mitreisenden wie auf Knopf­druck: Wer schläft wo, mit wem und mit wem auf gar keinen Fall? Das muss erst geklärt werden. Dann kann es aber losgehen. Nach Tsawwassen, zum BC Ferries Terminal südlich von Vancouver. Wir bekommen einen Platz relativ weit vorn in der Wartereihe für Wohnmobile und es bleibt uns gerade noch genug Zeit, den Rest des Gepäcks in die Schränke zu organisieren und die Gaszufuhr abzudrehen (Sicherheitsvorschrift von BC Ferries), da geht es auch schon auf die Fähre. Schnell hinauf auf eines der vielen großen Decks, denn das Wetter ist herrlich. Einen Cappuccino dazu und dann wird genossen. Die Überfahrt ist ein Traum - durch die vorgelagerten Inseln hinüber nach Swartz Bay auf Vancouver Island - alles bei strahlendem Sonnenschein.

Auf Vancouver Island sind es dann noch ein paar Kilometer bis Victoria. Als Campground haben wir heute den Westbay Marine Village reserviert. Aus zwei Gründen: Erstens waren wir bislang nie selbst hier. Und zweitens erfüllt der Platz die Idealvoraussetzungen direkt am Pazifik und trotzdem mitten in der Stadt zu liegen. Zwar konnten wir keinen von den wunderschönen Plätzen direkt am Wasser ergattern, aber wir sind sehr zufrieden. [Inzwischen erreichte uns die sehr bedauerliche Mitteilung, dass dieser Campground zum Februar 2017 seinen Betrieb einstellt. Wir hoffen allerdings noch, dass er von neuen Investoren übernommen und weiter betrieben wird.]

Für heute Abend haben wir beim SK-Partner Eagle Wing das Sunset Whalewatching gebucht. Unsere Idealvorstellung: Orcas vor der untergehenden Sonne beobachten! Also, auf zum Wassertaxi. Sehen toll aus, diese kleinen Nussschalen, die regelmäßig die wichtigsten Anlegestellen rund um den Inner Harbour abklappern. Auch zum Fisherman's Wharf kann man sich schippern lassen. Eigentlich müsste man ja mehr Zeit einplanen für dieses kleine Viertel auf Stegen mit all seinen bunten, individuellen und kreativ dekorierten Floating Houses, den Cafés und "Fish & Chips"-Buden. Aber auf einmal wird die Zeit dann doch knapp. Ich sehe schon Brad Soberg, den Inhaber von Eagle Wing, auf uns zukommen. Er wird heute unser Captain sein. Stolz zeigt er mir seine Boote, denen man ihre Geschwindigkeit regelrecht ansieht.

Los geht's bei herrlichstem Wetter. Die Wale sind schon seit längerem nicht mehr in den Gewässern vor Victoria gesichtet worden. Aber vor der Olympic Peninsula, also vor Washington in US-Gewässern. Ziemlich weit weg - jetzt zahlt sich die Geschwindigkeit der Boote aus. Das Boot hüpft über die Wellen, die Kinder juchzen und die Eltern grinsen. Und dann sehen wir sie, die Orcas! Meine Lieblingswale. Ich freue mich! Es ist aufregend und beruhigend zugleich, sie durch den Pazifik ziehen zu sehen. Auf dem Rückweg fahren wir in die untergehende Sonne hinein und stoppen noch einmal mitten auf dem Pazifik, nur um den Sonnenuntergang zu bewundern.

Zurück am Fisherman's Wharf gibt es erst einmal eine heiße Schokolade. Es ist spät. Ob wir überhaupt noch ein Restaurant finden? Schnell laufen wir zur Old Spaghetti Factory hinüber - und haben Glück: Der Grill ist aus aber Pasta wollen sie uns noch machen. Passt gut, denn wir wollten ja eh noch einmal Seafood Linguini essen. Sehr lecker, aber unsere beiden Jungs schaffen ihre Portionen nicht mehr. Jetlag, frische Luft und die ganze Orca-Aufregung - Felix und Julius schlafen über ihren Tellern ein. Also, schnell mit dem Taxi zurück zum Campground. Autotaxi - die Wassertaxis fahren schon lange nicht mehr. Ab ins Wohnmobil. Ab ins Bett. Die erste Nacht im Mobil. Ich stehe noch einen Moment draußen und bewundere den Sternenhimmel. Ein toller erster Tag auf Vancouver Island. So kann's weitergehen!

Die erste Nacht im Wohnmobil war eine gute. Alle sind frisch und voller Tatendrang, als wir uns von Victoria verabschieden und uns auf den Weg machen. Über Nanaimo nach Coombs. Hier wollen wir Dave Petryk treffen. Dave ist der CEO von Tourism Vancouver Island, vor allem aber ein alter Freund von mir. Zum Lunch haben wir uns im Cuckoos at Coombs verabredet. Mann, ist Coombs explodiert! Natürlich gibt es den alten alternativen Laden mit den Ziegen auf dem Dach immer noch. Aber einfach an der Straße anhalten kann man mit dem Wohnmobil kaum noch. Kein Platz. Dafür gibt es jetzt ein ausgewiesenes "RV and Bus Parking". Naja, die Kinder sind begeistert. Ich bin kein großer Freund von Trubel, aber mir gefällt das Restaurant, das Cuckoos. Sehr mediterran angehaucht, fast eher "unkanadisch". Aber das Essen ist super. Es wird ein schöner Nachmittag. Dave freut sich sehr, dass wir unsere gesamte Reise Vancouver Island widmen. Er weiß, wie schnell diese Insel bei der individuellen Reiseplanung ins Hintertreffen gerät.

Irgendwann schaffen wir es, uns von der entspannten Sommerstimmung in Coombs loszureißen. Schließlich müssen wir ja noch weiter bis zur Westküste der Insel. Die Fahrt durch das kaum besiedelte Inland ist wunderschön. Gerade bei diesem Wetter! Wälder mit Riesenbäumen vor einsamen Seen. Kristallklare Flüsse, die sich ihren Weg durch im Sonnenlicht schimmernde Felsplateaus bahnen. Aber natürlich ist heute auch der Starttag in ein Long Weekend und so sparen wir uns den Gang durch den eigentlich so sehenswerten Wald von Cathedral Grove. Es stehen für meinen Geschmack zu viele Autos am Straßenrand. Und ein bisschen müssen wir auch auf die Zeit achten, denn ab Ucluelet haben wir noch 10 Kilometer grobe Wildnisstraße vor uns. Keiner von uns kennt den Mussel Beach Campground. Kunden haben ihn empfohlen und wir sind mächtig gespannt!

Ab in den Busch. Hier ist nichts mehr, kein Zivilisationszeichen außer dem Weg selbst. Und der hat es in sich. 10 km/h werden empfohlen. Sehr viel mehr geht auch nicht, obwohl sich die Navions ja ganz gut auf Schotter machen. Wahrscheinlich gibt's diese Straße auch in besser, aber nach den vielen Sonnentagen ohne Feuchtigkeit sind die Schlaglöcher ziemlich ausgefahren. Dennoch rumpeln wir problemlos durch den Busch, bis sich der Regenwald vor uns auftut und den Blick auf einen breiten, einsamen Pazifikstrand freigibt. Der Mussel Beach Camground. Toll! Die wunderschönen Plätze halb im Wald und dennoch direkt am Strand waren zum Zeitpunkt unserer Buchung nicht mehr frei. Unsere beiden Sites auf dem offenen Gelände am Strand kommen uns aber nicht minderwertiger vor. Im Gegenteil - mitten am Pazifik, einigermaßen eben, mit Feuerstelle und Picknick Table. Die Kinder flitzen direkt los. Es ist gerade Ebbe und natürlich gibt es unglaublich viel zu entdecken. Muscheln, Krebse, farbenprächtige Seesterne - ein Kinderparadies. Dementsprechend erschöpft fallen sie dann auch ins Bett und wir Erwachsenen haben mal einen etwas längeren Abend für uns allein am Lagerfeuer. Mit Panoramablick auf den Pazifik!
Natürlich steht ein Ausflug in den Pacific Rim Nationalpark auf dem Programm. Nach Tofino. Zu unserem Partner Remote Passages. Tofino ist immer noch ein wirklich nettes kleines Örtchen. Wir sind an diesem Morgen ein bisschen spät dran, da es nur einen Parkplatz für Wohnmobile gibt, den wir erst finden müssen. Wohnmobile brauchen Platz und von dem gibt es nicht viel auf der schmalen Landzunge des Pacific Rim Parks, an dessen Spitze Tofino liegt. An einigen Strandparkplätzen haben wir schon das "No RVs"-Schild gesehen - nicht schön für uns, aber verständlich. Zu Fuß erreichen wir Bootshaus und Anleger von Remote Passages. Und dann geht es für uns wieder hinaus auf den Pazifik. Das Wetter spielt wieder mit. Und die Landschaft! Die Szenerie des Clayoquot Sound ist in ihrer Ursprünglichkeit so unfassbar schön, dass wenn ein Künstler sie malen würde, man das Bild am Ende für zu kitschig halten würde. Und so viel Leben um uns herum! Die Adler zählen wir schon gar nicht mehr. Aber jetzt kommen die Otter hinzu! Ein herrliches Bild so ein Tier auf dem Rücken dahintreiben zu sehen - schlafend oder mit einer Muschel in den Pfoten. Es ist wirklich erfreulich, dass sich die Population hier im Clayoqout Sound scheinbar erholt hat.

Über Funk erfahren wir, dass ein Grauwal gesichtet wurde. Tatsächlich finden wir ihn. Und sehen ihn gut. Ich bin überrascht - grundsätzlich finde ich zwar, dass man von den Orcas mehr hat. Denn wenn man die einmal gefunden hat, sind sie da. Mehrere und fotogen immer auf- und abtauchend. Aber gerade mit den Kindern empfinde ich heute auch die Grauwalbeobachtung als unerwartet spannend, da der Grauwal auftaucht und dann wieder verschwunden ist. Die große Frage: Wo taucht er als nächstes auf? Zusammen scannen wir die Wasseroberfläche, versuchen zu erahnen, wo der Wal inzwischen hingetaucht sein könnte. Dann die große Überraschung, wenn es doch ganz woanders ist. Und die Freude desjenigen, der ihn entdeckt hat. Ein toller Trip.

Am Dockhouse von Remote Passages ist ganz schön was los. Unsere Gruppe geht vom Boot - die nächsten machen sich bereit. Die Whalewatcher genau wie die Schwarzbärenbeobachter und die Gruppe, die sich auf den Weg zu den heißen Quellen im Regenwald machen wird. Postiver Trubel - keine Hektik. Alle sind gespannt, freudig erregt. Niemand will etwas von den Einweisungen verpassen. So soll es sein - ich könnte direkt wieder losfahren. Aber ich will noch mit Inhaber Don Travers und seiner Frau Kathy sprechen. Beide sind sehr zufrieden mit ihrer Saison und freuen sich besonders über die vielen deutschen Kunden. Die Deutschen sind für sie Naturbegeisterte, die mit Vorwissen herkommen und trotzdem noch neugierig sind und vergleichsweise großes Interesse an dem gesamten Ökosystem zeigen. Im Detail lasse ich mir bei der Gelegenheit das ausgeklügelte Sicherheitssystem erklären: Das Head Office weiß immer auf den Meter genau, wo die Boote sind. Im Minutentakt gehen Positionsmeldungen ein. Bleibt eine aus, wird sofort der Funkkontakt zu dem Boot hergestellt. Kommt der nicht zustande, startet je nach Distanz ein Rettungsschnellboot oder ein Wasserflugzeug. Vorbildlich.


Ein weiteres Abenteuer liegt hinter uns. Klar, die Kinder möchten jetzt wieder zurück zu unserem Campground am Mussel Beach. Doch heute setzen sich einmal die Eltern durch und wir fahren zum Long Beach. Einmal hinein in die sagenhafte Pazifikbrandung. Neben all den Surfern. Und ja, natürlich ist das Wasser kalt. Aber wir lassen uns alle nicht abhalten. Es macht zu viel Spaß, sich in die Wellen zu schmeißen. Ordentlich was los hier - klar, Long Weekend. Aber der Strand ist natürlich der Hammer. Man kann sich kaum einen schöneren vorstellen. Und so riesig ist er, dass sich alles gut verläuft.

Auf der Rückfahrt möchte ich mir das neue Kwisitis Visitor Center anschauen. Wir nehmen den Abzweig zum Wickaninnish Beach und sind begeistert! Allein schon vom Strand der Florencia Bay. Traumhaft - und ganz leer. Hier hätten wir unseren Badestopp machen sollen! Und das Visitor Center beeindruckt. Ein mächtiges Holzhaus, das auf einem Felsen der Pazifikbrandung trotzt. Drinnen eine ansprechende Ausstellung über die Besiedlungsgeschichte dieses Teils von Vancouver Island und ein urgemütlicher Raum mit Sofas und Sesseln vor einer Panorama-Fensterfront. Sich hier niederlassen und stundenlang einfach nur auf die Schönheit hinausstarren. Aber jenseits mei­ner Versunkenheit warten zwei Kinder im Wohnmobil und wollen zurück zum Mussel Beach.  
Das Wetter ist immer noch hervorragend. Die Flut läuft gerade in den Mussel Beach hinein. Gut, denn wir wollen alle schwimmen gehen. Wenigstens einmal kurz untertauchen. Doch dann die große Überraschung: Das Wasser ist warm! 21 Grad an der Oberfläche misst Markus mit seiner Multifunktionsuhr. Die Neopren-Shorties haben wir umsonst angezogen. Es stimmt also: Als flacher, der offenen Pazifikküste abgewandter Gezeitenstrand kann der Mussel Beach das Meerwasser viel kräftiger erwärmen. Es wird ein echter Beach-Nachmittag. Abgerundet vom abendlichen Lagerfeuer am Strand. Mit frischem, selbstgefangenen Fisch auf dem Feuer und einem guten Wein. Also, wenn das so weitergeht, kann das Ganze zur echten Traumreise avancieren!

Der Folgetag ist der dritte von fünf Fahrtagen auf unserem Trip. Nach Campbell River an der Ostküste von Vancouver Island geht es - das ist überschaubar. Also, aus­schlafen und in Ruhe früh­stücken. Noch einmal den Mussel Beach genießen. Es ist Ebbe – das Wasser ist weit weg. Unweigerlich muss ich an die Schwarzbärentouren hier an der Westküste denken. Die suchen ja genau solche Situationen. Bereits vor Jahren wurde an der Westküste Vancouver Islands beobachtet, dass Schwarzbären genau über die Gezeiten Bescheid wissen. Zur Ebbe kommen sie an den Strand, um Steine im Watt umzudrehen auf der Suche nach Muscheln und Krebsen. Und während wir noch unseren Kaffee schlürfen, taucht nun wie aus dem Lehrbuch etwa 200 Meter vor uns ein Schwarzbär aus dem Regenwald auf – und fängt an Steine umzudrehen! Bemerkenswert, wie selbst­verständ­lich und entspannt hier alle damit umgehen. Ja, da ist ein Bär. Ja und? Der muss halt auch frühstücken. Die Szene hat etwas Friedliches. Der Bär bewegt sich völlig relaxed. Er checkt, was er checken will, und irgendwann trollt er sich wieder in den Wald. So viele Bärenbegegnungen hatte ich schon auf meinen Reisen durch Kanada. Viele sehr viel intensiver. Und doch ist das hier ein wichtiges Erlebnis für mich, da es in meinen Augen die Vorhersagbarkeit der Schwarzbären zur Ebbe belegt.

Bye, bye, Mussel Beach. Bin sehr zufrieden. Das war mal wieder richtiges Scouting. Und jetzt geht es zurück zur Ostküste von Vancouver Island. An Cathedral Grove rauschen wir wieder vorbei. Aus dem gleichen Grund wie auf der Hinfahrt: alles voll. Klar: Montag, letzter Tag des Long Weekends. Alle sind auf dem Heimweg und nehmen noch die Attraktionen unterwegs mit. Das ließ sich schon vorher an den malerischen kleinen Fels-Canyons des Kennedy River erahnen. Einfach viel Volk unterwegs an solchen Tagen – also für kanadische Verhältnisse.

Wir lassen es heute langsam gehen und gönnen uns den Scenic Ocean Drive. Bei Comox steuere ich eine Tankstelle an. Ein Aha-Erlebnis, denn ich komme erstmalig in den Genuss des geringen Verbrauchs des Navions. Meine Güte! Da sagt man an der Kasse, dass sie bei der Vorab-Authorisierung der Kreditkarte mal 150 Dollar eingeben sollen – so, wie man es halt von nordamerikanischen Mobilen gewohnt ist – und dann wird auf einmal nur die Häl­fte dieses Betrags benötigt. Einfach großartig. Selbst für die nur etwa 1500 Kilometer unseres Trips wird die Ersparnis beträchtlich sein – das ist jetzt schon absehbar.

Wir passieren Campbell River und fahren weiter zu unserem heutigen Ziel, der Painter's Lodge. Ja, heute genehmigen wir uns eine Wohnmobilpause. Nicht, weil wir sie bräuchten, sondern vielmehr, weil dies einfach besser in unsere Planung passt. Denn heute Abend wollen wir noch im Campbell River mit den Lachsen schnorcheln und dann idealerweise in der Lodge dinieren. Und morgen um sechs Uhr früh wollen Markus und ich raus zum Fischen. Als wir an der Painter's Lodge vorfahren und die imposante Lobby mit Blick auf den Pazifik betreten, da freuen wir uns richtig. Hat doch was, jetzt auch einmal in einer schönen Lodge untergebracht zu sein! Natürlich haben wir uns Oceanview-Zimmer reserviert. Alle sind begeistert. Die Kinder stürmen sofort auf den Balkon und wir hinterher. Toller Blick. Und das Zimmer ist schön groß. Zwei große Betten – perfekt für vier.

Ich höre schon erste Stimmen, dass man jetzt auch gut direkt hier bleiben könnte. Die Lodge sei cool und einen Pool gebe es auch. Aber wir wollen uns ja nicht in den Pool, sondern in den Campbell River stürzen! Die Fahrt von der Lodge zu Destiny River Adventures dauert nur ein paar Minuten und direkt vis-a-vis gibt es einen kostenlosen Parkplatz für die Mobile. Man hätte sich auch von der Lodge shuttlen lassen können, aber wir finden es ganz praktisch, die Wohnmobile zum Umziehen vor Ort zu haben. Eine freundliche Mitarbeiterin nimmt uns in Empfang und wir können schon einmal den Papierkram erledigen. Entspannt, denn direkt nebenan ist eine richtig gute Kaffeebar. Und das Wetter ist mal wieder der Hammer. Fast zu warm. Ich bin froh, dass wir eine Abendtour auf dem Campbell River vor uns haben. Bis ich die augenblickliche Temperatur des Campbell River erfahre: 10 Grad! Ich blicke auf meine Kinder. Ist das Vorhaben vielleicht doch zu ambitioniert? Wie auch immer, jetzt heißt es Augen zu und durch!

Jamie Turko, der Besitzer von Destiny River Adventures, fährt mit dem Tourbus, einem bemalten Schulbus, vor und begrüßt uns herzlich. Dann gibt er uns eine kurze Einweisung ins Equipment. Mit seiner Hilfe sammeln wir alles zusammen, was wir brauchen: Neoprenanzug, Schu­he, Handschuhe und Taucherbrille mit Schnorchel – alles muss passen. Dann geht es mit dem Bus hinauf zum Campbell River. Jamie hat einen Deal mit dem örtlichen Wasserkraftwerk: Er darf zum Einsteigen in den Fluss auf ein Gelände, das sonst nicht öffentlich zugänglich ist. Man ist also ganz für sich. So, jetzt alles wieder anpellen – ich bin direkt durchgeschwitzt bei der Hitze und sehne mich nach kaltem Wasser. Doch nun gibt es erst einmal die ausführliche Einführung. Über das, was wir sehen und erleben werden. Welche Lachse sind derzeit im Fluss? Welche Gefahren können uns begegnen? Große Steine in flachem Wasser oder am Grund verhakte Äste. Jamie macht das gut. Der „River-Man“ ist hier aufgewachsen. Das Hinabtreiben im Campbell River war sein Kindheits-Thrill. Das beeindruckt mich. Das sind die Hintergrundgeschichten, die man nur vor Ort mitbekommt.

Alle hinein in das Schlauchboot und rauf auf den Fluss. Man sieht schon die ersten Lachse springen! Allerdings rudert Jamie nur ein kurzes Stück über den Fluss zur anderen Uferseite. Dann sollen wir wieder an Land gehen. Auf einen Felsen hinauf, direkt über einer Flussvertiefung. Und jetzt? „JUMP“, brüllt Jamie – und wir springen! Die Kinder überlegen gar nicht. Ihnen fehlt die Relation zu 10 Grad Wassertemperatur. Wir Erwachsenen brauchen ein paar Sekunden, um uns zu überzeugen. Jamies Tourstart ist eine Rosskur. Einfach rein in das klare, kalte Wasser, das zwischen Anzug und Haut gelangen muss. Die dünne Wasserschicht erwärmt sich dann aber recht schnell und macht den kalten Fluss erträglich.

Schnell wieder ins Raft und auf zur ersten richtigen Schnorchelstelle. Jamie gibt letzte Anweisungen. Ich stehe im flachen Wasser. Taucherbrille auf, Schnorchel im Mund, Action-Cam in der Hand und lasse mich fallen und mitten in den Fluss hineintreiben. Ein tolles Gefühl! Kopf ins Wasser – die Schwimmwesten halten uns zuverlässig an der Oberfläche. Ein ganz kurzer Moment der Gewöhnung. Und dann – WOW! Lachse! Hunderte. Quatsch, tausende. Ach, viel mehr! Es sind Pink Salmon, also die kleineren. Super, denn dadurch sind die Schwär­me größer. Ab und zu schießt mal ein großer silberner Torpedo dadurch – das ist dann ein Spring Salmon, ein großer Königslachs. Unglaublich beeindruckend! Erst der Thrill, die Tiere überhaupt zu sehen. Dann die Faszination der Menge an Lachsen, die zum Greifen nah unter und um einen herumschwimmt. Und dann die Bewunderung für die Schwarmformationen, die sich ganz fließend dadurch ergeben, dass man auf die Lachse zutreibt.

Noch einmal, ja sicher! Am Ufer startet ein kleiner Trail, der uns zur Startstelle zurückführt – und wieder hinein in die Lachse! Man sieht auch Flusskrebse, die sich zahlreich über verendete Lachse am Flussgrund hermachen. Oder andere Fischarten wie Forellen und kleine Knurrhähne. Und draußen in den Bäumen sitzen Adler, Reiher und Gänsegeier! Selbst einen frischen Bärenhaufen finden wir mitten auf dem Uferweg. Und es gibt noch mehr tolle Schnorchelstellen, die wir mit dem Schlauchboot erreichen. „Letzte Möglichkeit, zurück ins Boot zu kommen, vor den Stromschnellen“, ruft Jamie irgenwann. Auf gar keinen Fall! Wir wollen durch die Stromschnellen schwimmen! Nicht alle – den Kindern ist nun doch etwas kalt. Aber Jamie kümmert sich: Er verteilt Decken und Mützen und pflückt am Ufer Brombeeren. Neue Energie. Herrlich die Stromschnellen. Aber aufpassen: Im flachen, schnellen Wasser ist schon mal ein Stein im Weg. Aber alles geht gut und wir haben einen Mordsspaß.
Der Fluss wird nun tiefer und man sieht kaum noch Lachse. Aber dafür Seehunde! Sie schwimmen um uns herum, sind neugierig. Tauchen teilweise wenige Meter vor uns auf und schauen uns an. Schade, dass wir schon fast am Ende der Tour sind. Die letzten Meter werden gepaddelt und die Seehunde begleiten uns. An einer Bootsrampe nahe der Mündung in den Pazifik landen wir an. Der Tourbus mit unseren Sachen wartet schon. Ausziehen, abtrocknen und hinein in die anderen Klamotten. Auf der kurzen Busfahrt zurück herrscht ein ordentlicher Ge­räusch­pegel. „Alter, hast Du das gesehen?“ ist einer der häufigsten Sätze, die ich von den inzwischen wieder aufgewärmten Kindern höre. Je­der hat mehr Lachse und größere Krebse gesehen und natürlich auch heftigere Stromschnellen erlebt. Genau, wie es sein soll. Was für ein Trip! Meine Erwartungen sind übertroffen.
Zurück an der Painter's Lodge. Mann, wie gut mir das Bier heute im gemütlichen Pub der Lodge schmeckt! Also, nicht wirklich im Pub, denn da dürfen die Kinder abends nicht mehr rein. Aber wir können die ebenso gemütliche Lounge nutzen und alles von der Pub-Karte bestellen. Die Vorhut bestellt Wings und Burger – der Rest ist noch schnell in den Zimmern heiß duschen. Ach, ist schon gut, dass wir heute hier untergekommen sind. Ein toller Abend mit Blick auf den Pazifik. Und es gibt immer noch so viel zu erzählen. Zwischendurch gesellen sich andere Lodge-Gäste zu uns und erkundigen sich interessiert nach unserem Abenteuer. Einige überzeugen wir – andere halten uns für verrückt, als sie von der Wassertemperatur des Campbell River hören. Den Kindern ist wieder warm und als ich meine Tochter Anna, die jüngste von allen, an diesem Abend nach der Punktezahl für das Erlebnis frage – wir haben da dieses familieninterne Punktesystem von 0 = „geht gar nicht“ bis 10 = „sensationell“ – strahlt sie mich an und sagt: „Zehn!”

Der frühe Vogel fängt den Fisch! Auf leisen Sohlen schleichen Markus und ich um 5.30 Uhr aus unseren Zimmern – die Familien schlafen noch tief und fest. Schnell die paar Schritte hinunter zum Dock. Am Adventure Center der Painter's Lodge herrscht schon ein geschäftiges Treiben. Wir sind nicht die Einzigen, die heute Morgen zum Angeln rauswollen. So einige Angler tummeln sich hier schon und werden nach und nach von den Dock-Managern ihren Fishing Guides zugewiesen. Und alle haben sie das Regenzeug der Lodge an. War es ein Fehler, das abzulehnen? OK, jetzt bloß nicht das Gesicht verlieren. „No, no, thanks – we don't need this!“

Greg ist unser Guide. Ein Senior – sieht gemütlich aus. Die haben ja häufig die größte Erfahrung mit den Fischgründen. Schnell in das kleine Boot und los geht's! Das Wetter sieht wirklich nach Regen aus. Und trotzdem ist es eine tolle Fahrt. Einfach grandios diese Landschaft. Und hier in den geschützten Gewässern zwischen Vancouver Island und dem Festland kann man mit den kleineren Whaler-Booten losfahren. Das macht einen solchen Trip vergleichsweise günstig. Eine wertvolle Erkenntnis.

Wir fahren gut 20 Minuten, dann macht Greg zwei Angeln startklar. „We're fishing!” Die Angelleinen sind im Wasser und wir genießen die traumhafte Szenerie hier in der Einsamkeit vor Quadra Island. Das Wasser hat eine grünliche Färbung und sieht einfach nur toll aus. Plötzlich zuckt es an Markus’ Leine. Er holt die Angel ein und fängt einen stattlichen Lachs. Doch es ist ein Königslachs und dafür ist er dann doch wieder zu klein. Dieser Lachs darf weiterleben. Nur wenige Minuten später dann aber der Ruck an meiner Angel. Auch ein Lachs. Auch zu klein? Nein, denn nun ist es ein Pink Salmon und für diese Art ein recht großes Exemplar. Ein Keeper. Unser Dinner ist gerettet! Markus macht den Sack zu, denn plötzlich zappelt noch ein Königslachs an seiner Leine. Diesmal ein großer. Super! Zurück am Dock nimmt Greg die Fische für uns aus. Schnell verstauen wir die Fische in unseren Wohnmobil-Gefrierfächern und gehen ins Lodge-Restaurant, wo wir unsere Familien bei bester Laune antreffen. Das Ausschlafen und das Panorama-Frühstück waren der Stimmung sichtlich zuträglich.

Allemann in die Navions und weiter geht's. Nach Norden. Das Wetter wird besser. Und es wird immer menschenleerer. Es ist ja fast ein Witz, dass diese einsame Landstraße noch Highway genannt wird und tatsächlich die einzige Verbindungsstraße weit und breit ist! Herrlich, ich genieße die Fahrt – zunächst. Dann merke ich, dass ich nicht nicht mehr wirklich auf die Naturschönheiten konzentrieren kann und beginne, alles wie durch einen Tunnel zu sehen. Ganz plötzlich bin ich hundemüde! Das frühe Aufstehen, die frische Luft... Über Funk gebe ich Markus durch, dass ich an der nächsten Rest Area anhalte. „Danke“, höre ich nur aus dem Lautsprecher. Ihm geht es genauso. Und die Frauen wollen beide nicht fahren. Zwangspause. Eine halbe Stunde „Power-Napping“, dann geht es weiter gen Norden.

Unser heutiges Ziel ist das Cluxewe Resort. Bin sehr gespannt, denn es ist ein Projekt der First Nations, das sich wirklich erfolgversprechend anhört. Ein Campground und Cabins am Pazifikufer – und alles soll sehr schön sein. So etwas bräuchten wir auf der Nordinsel! Wir passieren Port McNeill und erreichen die Schotter-Zufahrt zum Resort. Es geht ein Stück durch den Wald und dann tut sich eine große Lichtung direkt zum Pazifikufer auf. Wow, gar nicht mal so klein! Und traumschön direkt am Pazifik! Am kleinen Reception-Office halten wir und treffen auf Scott Mercs, den Resort Manager. Mit ihm habe ich so viel gemailt und telefoniert, dass er mir fast wie ein alter Freund vorkommt. Scott hat schon auf uns gewartet und freut sich sichtlich. Supertyp, denke ich – so einen braucht man für so ein Projekt! „Nein, nein”, sagt Scott, „hier am Hauptplatz bleibt ihr nicht. Fahrt mal hinten über die Landzunge weiter und versorgt Euch vorher da drüben mit ausreichend Feuerholz!”

Gesagt, getan. Und dann erschlägt mich die Schönheit dieses Campgrounds. Das gibt es doch gar nicht! Stellplätze mitten am Pazifik – und das Ganze in einer Art Strandbucht mit Traumblick über die Strait zu einer vorgelagerten Insel. Millionen große Muscheln über den ganzen Strand verteilt. In den Baumwipfeln sehe ich auf Anhieb vier Weißkopf­seead­ler. Mann, das ist ein Traum hier! Besonders, wenn man einen der Waterfront-Plätze erwischt. Die gegenüberliegenden Sites haben teilweise keinen Strom. Wär mir egal, aber die Plätze am Wasser sind schon fantastisch. Ich habe Glück und erwische so einen Stellplatz. Die Kinder sind eh schon am Strand verschwunden. Es wird ein traumhafter Abend am Pazifikstrand des Cluxewe Resort. An dem Blick von unserem Stellplatz aus können wir uns nicht sattsehen. Und mit dem zwischenzeitlich angezündeten Lagerfeuer wird es nur noch schöner. Schnell den Lachs filetiert und drauf damit aufs Feuer. Viel besser geht es nicht.

Fast genauso schön wird das ausgedehnte Strand-Frühstück am nächsten Morgen. Die Adler haben uns genau im Blick. Vielleicht bleibt nachher ja doch irgendetwas Schmackhaftes liegen. Auf zum nächsten Abenteuer. Im etwa 30 Kilometer entfernten Telegraph Cove. Wir sind Scotts Ratschlag gefolgt und haben uns ein Taxi bestellt. Klappt perfekt. Die Taxifahrt dauert gerade einmal 20 Mi­nuten. Ich freue mich, endlich mal wieder das bunte Stegdörfchen besuchen zu können. Und irgendwie hat sich kaum etwas verändert in Telegraph Cove. Das gefällt mir. Wir schlendern über den Boardwalk. Und prompt läuft mir Howard Pattinson über den Weg. Howard ist der Besitzer von Tide Rip Tours, unserem hiesigen Partner für Grizzlybeobachtungen. Die Saison läuft super, erzählt er mir. Bis in den September hinein ist er aus-
gebucht. „Aber alle SK-Kunden haben ihren Platz auf dem Boot sicher“, beeilt er sich zu sagen, vielleicht nachdem er meine hochgezogene Augenbraue bemerkt hat.

Weiter auf dem Boardwalk bis zum skandinavisch-roten Holzhaus, in dem das Office von Stubbs Island Whalewatching untergebracht ist. Während ich uns am Counter eigentlich nur schnell anmelden will, entdeckt der Rest das Lädchen von Stubbs. Na su­per, da kann ja endlich mal wieder was gekauft werden. Dringendst werden nun Wale als Stofftier benötigt. Und T-Shirts braucht man ja sowieso. Auch an Mitbringsel für Freundinnen muss gedacht werden. Selbst für den Hund daheim wird ein Spielzeugwal mitgenommen. Ein Wunder, dass uns bis zum Start der Whalewatching-Tour noch genug Zeit für ein frühes Dinner im Killerwhale Cafe bleibt. Die Fischsuppe (Seafood Chowder) ist immer noch eine der besten auf der Insel! Wir sitzen draußen im Schatten eines Sonnenschirms und blicken auf die kleine Marina. Immer wieder kommen Fischerbötchen herein. Fische werden auf die Stege gewuchtet und an Filetier­tischen ausgenommen. Otter und Möwen haben das schon lange mitbekommen und schielen auf ihren Anteil.

Die M.V. Lukwa von Stubbs Island Whalewatching ist startklar. Captain Roger McDonald begrüßt alle Gäste persönlich an der Gangway der großen Yacht. Es ist kurz vor sechs am Abend, als wir die geschützte Bucht von Telegraph Cove verlassen und ich glaube, man kann sich keine bessere Zeit und vor allem kein schöneres Wetter für so einen Trip vorstellen. Und kaum hat die Yacht Fahrt aufgenommen, muss die Geschwindigkeit auch schon wieder gedrosselt werden. Buckelwale! An unterschiedlichen Stellen ist immer mal wieder der kräftige Blas der großen Wale zu sehen. Toll. Wenig später gesellen sich Delfine hinzu. Und das alles vor der wunderschönen Kulisse der Johnstone Strait, diesem Geflecht aus kleinen, unbewohnten Inseln. Für einen Tag wie heute wären Orcas natürlich die Krönung! Das beschließt auch Captain Roger. Der ehemalige Bürgermeister von Campbell River nimmt Fahrt auf in Richtung Süden.

Orcas! Wir haben Glück. Immer wieder ergreifend das Schauspiel der auf- und abtauchenden Schwerter. Und die Landschaft liefert den Hintergrund und gleichzeitig einen zuverlässigen Größen- und Entfernungsbezug. Denn hier in der Johnstone Strait ist man ja immer irgendwie in Ufernähe. Das Auge kann jederzeit alles in bekannte Relationen setzen. Und so erstaunt mich einmal mehr, wie nah am Ufer die Orcas teilweise ihre Bahnen ziehen, als ich fasziniert dem großen Bullen "Surf" hinterherblicke. Auch die Rückfahrt nach Telegraph Cove in den Sonnenuntergang hinein ist spektakulär. Zurück am Campground fallen die Kinder in die Wohnmobilbetten. Schon wieder eine ganze Menge Erlebnis und viel Sauerstoff für einen einzigen Tag! Auch für mich wird der Gedanke an meinen Alkoven immer attraktiver. Aber ein bisschen harren wir noch aus hier draußen. Es ist einfach zu schön am knisternden Feuer vor dem Muschelstrand und den seicht hereinrollenden Pazifikwellen. Unser Freund Mike Willie kommt noch vorbei. Der Inhaber von Seawolf Adventures lebt ja hier. Mit ihm werden wir morgen unterwegs sein. Und Mike will früh los. Ok, kein Problem für uns. Dann aber jetzt gute Nacht!

Etwas ist anders am nächsten Morgen. Als ich aufstehe und meinen Blick über den Strand schweifen lasse, werde ich fast ein bisschen missmutig. Verwöhnt waren wir in den letzten Tagen von dem sensationellen Wetter. Und wenn es dann schlagartig kühl, neblig und regnerisch ist, dann holt einen das von einem sehr hohen Niveau herunter. Nee, irgendwie läuft es heute nicht rund. Wir sind sowieso schon viel zu spät und das Packen dauert und dauert. Verschiedene Sachen werden nicht gefunden, die Kinder sind launisch und irgendwie ist alles sehr langsam und konfliktträchtig heute. Auch in einem Traumurlaub gibt es solche Situationen. Aber wir kämpfen uns dadurch und staunen schließlich, was so alles vor dem Wohnmobil zum Mitnehmen aufgetürmt wird. Aber gut, es ist ja nicht nur für die Tagestour mit Mike. Danach soll es ja direkt für fünf Tage ins Orca Camp gehen.

Mit Sack und Pack treffen wir am Dock von Port McNeill ein. Am anderen Ende des Docks sehe ich schon Mike, wie er Kisten über die Planken wuchtet. Aha, er hat also auch noch einiges dabei. Ich blicke auf unsere Gruppe und auf das ganze Gepäck. "Wir passen nie alle auf das Boot mit unseren ganzen Sachen", höre ich meine Frau prompt sagen. "Ach, das passt schon", versuche ich überzeugt zu klingen. Aber dann bin ich wirklich positiv überrascht. Mikes Boot ist ein Traum in strahlend gelb mit stabilem Aluminium-Untergrund. Super zum Anlanden an allen möglichen Ufersituationen. Zwei große Markenmotoren im Heck - ein richtiges gutes Schiff. So ähnlich wie das, mit dem wir in Tofino mit Remote Passages rausgefahren sind. Unser ganzes Gepäck findet im Bug Platz und jeder findet einen Sitzplatz.

Während wir aus dem Hafen tuckern, stelle ich mich neben Mike und bespreche die Wettersituation mit ihm. Der Wind ist noch nicht so stark, aber der leichte Regen hat die Wolken richtig runtergedrückt. Die Sicht ist bescheiden. Mike meint, wir sollten lieber noch etwas warten, bevor wir entscheiden, ob wir die große Überfahrt ans Festland zu den Grizzlies wagen. Ob uns Alert Bay interessieren würde. Klar! Ich war noch nie in der kleinen Inselsiedlung der First Nations und wollte sie schon immer mal sehen. Mike nickt zufrieden und gibt Gas. Die etwa zwanzigminüte Bootsfahrt ist zum ersten Mal für uns völlig unspektakulär. Alles grau in grau. Dann gleiten wir in die geschützte Hafenbucht von Alert Bay. Mike steuert ein altes Dock an. Das soll Alert Bay sein? Nein, nur der Reservat-Teil, erklärt Mike. Drüben - er deutet nach rechts - ist der allgemeine Teil von Alert Bay. Da gehen dann auch Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Aber hier am Reservats-Dock sind wir ganz allein - authentisch.

Am Ufer wandern wir ein Stück bergauf. Für ein Indianerreservat eigentlich recht aufgeräumt. Mike will mit uns zum U'mista Cultural Center. Finde ich gut. Habe schon viel von der Galerie gehört. Ich trete ein und bin überrascht. Auf dem kurzen Weg hierher haben wir keine Menschenseele gesehen, aber hier ist richtig was los. Angestellte und Besucher wuseln durch den Eingangsraum, in dem es natürlich auch Souvenirs zu erstehen gibt. Aber alles sehr ansprechend. Wenig Kitsch. Mike macht mich darauf aufmerksam, dass ich weder fotografieren noch filmen darf. Wenn ich allerdings das Fotomaterial dazu benutzen würde, um diesen Ort bekannter zu machen und es im Zweifelsfall auch abtreten würde, könne man sich eine Ausnahmegenehmigung erteilen lassen. Gesagt, getan. Völlig problemlos - vielleicht, weil Mike dabei ist. Den kennen sie hier alle und er wird von allen mit sehr viel Respekt behandelt. Er selbst will uns durch die Galerie führen. Super! Auch für die Kinder viel attraktiver, schließlich kennen sie Mike ja nun schon.

Und die Führung mit Mike wird ein Hit. Auf sehr eindrucksvolle und vor allem verständliche Weise vermittelt er Kultur und Denke der Westküstenindianer. Bei allem heute noch gelebten Ge­mein­sinn der First Nations, erklärt Mike, gab und gibt es unter den einzelnen Stämmen eine Art Rangfolge, proportional zu Ansehen und Einfluss. Die Kinder hängen an Mikes Lippen bzw. an meinen, da ich das Meiste übersetzen muss. Auch ich könnte Mike stundenlang zuhören, wenn er zum Beispiel über die Wichtigkeit der Potlatches erzählt, die rituellen Feste, die so entscheidend für Ansehen und Stammesstatus waren. Besonders beeindruckt sind wir von dem angegliederten Longhouse mit den vielen großen und kunstvollen Ritual­masken. Zu jeder einzelnen kann Mike eine Geschichte erzählen. Und dann singt er! Ja, Mike ist ein bekannter First-Nations-Sänger auf Vancouver Island. Mitten in der Halle liegt ein massiver Zedernstamm - die Trommel. Die Holzklöppel stehen daneben. Das ist was für die Kinder - Mike macht's vor und alle machen mit.

Immer noch beeindruckt von dieser Erfahrung wandern wir wieder hinunter zum Dock. Das Wetter - wie könnte es anders sein - ist schlagartig wieder schön. Noch ein paar Wolken, aber ansonsten schon viel blauer Himmel und Sonne. Auch der alte Steg ist nun belebter. Einige indianische Fischerboote haben angelegt, Kisten werden über den Steg getragen und Mike wird direkt angesprochen. Man kennt sich, ist vielleicht sogar über ein paar Ecken verwandt. Vier große Sockeye-Lachse werden ganz beiläufig zu uns an Bord gereicht. "Frisch gefangen", raunt Mike mir zu. Aber was Mike von seinen Freunden über das Wetter gehört hat, hört sich nicht so gut an. Der Wetter-Funkkanal bestätigt es uns noch einmal: In der großen Strait sieht es gar nicht so schlecht aus. Nichts, was Mike seinem Boot nicht zutrauen würde. Also, die Überfahrt zum Festland zu den Grizzlies wäre grundsätzlich kein Problem und Mike möchte am liebsten direkt los. Aber die Vorhersage für die Charlotte Strait sieht ganz anders aus. Hier soll es später mächtig Wind geben, was das sichere Anlanden am Strand des Orca Camps verhindern könnte. Das gibt den Ausschlag, denn da müssen wir ja heute Nachmittag hin. Und schließlich ha­ben wir auch die Kinder dabei. Also, keine Überfahrt zum Festland - keine Grizzlies. Das erste geplante Abenteuer auf unserer Tour, das nicht vollständig klappt.

"Aber wenigstens ein ordentliches Lachs-BBQ machen wir vorher noch, oder?" Klar, Mike. Auf jeden Fall! Mike schmeißt den Motor an und gibt Gas. Hmm - wo ist denn der Wind? Naja, die werden alle schon wissen, wovon sie reden. Die Fahrt ist wieder ein Traum. Delfine, Buckelwale und die kleine Insel, die Mike ansteuert. An Land sind die Kinder direkt weg und erkunden. Alles sicher hier, da es nur eine kleine Insel ist. Pumas oder Bären gibt es hier nicht. Ich mache ein Feuer, während Mike sein Lachs-BBQ vorbereitet. Sehr interessant und doch so einfach. Mike nimmt einen angespaltenen Stiel - wie von einem Besen - und klemmt kleine Zedernholzstäbe hinein. Zwischen die wird dann der Lachs gespannt. Pfiffig. Zum Schluss reibt Mike den Stiel noch mit Lachsblut ein. Dies verhindere das Anbrennen des Stiels. Minuten später duftet es schon herrlich! Und wenig später bittet Mike zu Tisch. Auf Treibholz am Strand. Mitten in der Wildnis. Und so lecker! Ich blicke auf das Bild vor mir. Das Feuer, zufriedene Esser, der Sandstrand, die Bucht mit Mikes Boot, dahinter der Pazifik und die nächste Insel. Wow.

Auf zum nächsten Abenteuer. Die See ist nun tatsächlich ruppig, aber Mike bringt uns sicher zum Orca Camp an der Robson Bight. Er selbst kann nicht mit an Land kommen. Wind und Wellen zwingen ihn zur direkten Umkehr. Puh - gut, dass wir nicht doch erst die Überfahrt zum Festland gemacht haben. Der Wind wird immer stärker. Wir rufen Mike noch unseren Dank hinterher und winken zum Abschied. Jetzt sind wir im Orca Camp!

Mein Kumpel Andy ist schon da. Er betreibt das Orca Camp und hat seine beiden Töchter mitgebracht, die Zwillingsschwestern Sarah und Tiffany. Und seinen Freund Franz mit dessen Tochter. Franz kommt jedes Jahr aus Bayern, um das Orca Camp mit aufzubauen und für die neue Saison fit zu machen. Tja, und dann ist unser alter Freund Bruce Maclean mit dabei - zusammen mit seiner Frau Nancy. Mit dem Besitzer des legendären Pubs "Sasquatch Inn" verbindet mich eine inzwischen fast dreißgjährige Freundschaft.

Diese Gesellschaft macht das Orca Camp zum Highlight unseres Trips. Aber ebenso der Ort selbst. Noch bevor ich meinen Rucksack ins Zelt geschmissen habe, zieht schon eine ganze Schule Orcas am Strand vorbei. Zum Greifen nah. Abenteuer nonstop. Für vier Nächte haben wir den Komfort des Wohnmobils gegen das Zelt im Regenwald getauscht und werden es keine Sekunde bereuen. Nebelschwaden am Morgen über dem Pazifik, durch die dann irgendwann schnaufend die Orcas pflügen, während man selbst staunend am Ufer steht - mit einem heißen Kaffee in der Hand. Kajak-Exkursionen in unberührte Küstenwildnis, Lunchpausen an einsamen Inselstränden, unzählige Tierbeobachtungen. Und als Krönung Begegnungen mit den Orcas auf Augenhöhe. Ein unglaubliches Gefühl, wenn die wunderschönen schwarz-weißen Körper unter dem eigenen Kajak dahingleiten. Abends dann das Lagerfeuer und der Blick auf die gegenüberliegende Insel mit ihren bewaldeten Bergen im Abendrot. Dazwischen die auf- und abtauchenden Schwerter der Orcas, die sich von uns in die Nacht verabschieden. Eigentlich alles kaum zu glauben. Einiges von der Großartigkeit dieses Erlebnisses wird einem wohl erst klar, wenn man mit etwas Abstand an das Erlebte zurückdenkt. Denn erlebt haben wir hier viel. Zu viel für zwei, drei Absätze. Und mehr als genug für eine eigene Geschichte. Und doch kommt unser letzter Vormittag im Camp schneller als gedacht. Das Wassertaxi legt am Strand an und wir laden unser Gepäck auf. Gerade sind wir mit dem Boot losgefahren und haben uns schon damit abgefunden, unsere scharz-weißen Freunde nicht mehr zu sehen, da tauchen sie noch einmal auf - unsere Orcas! Sie schwimmen direkt am Boot vorbei. Wie zum Abschied. Wie einzigartig.

Zurück am Strand des Cluxewe Resort lassen wir den Tag im Restaurant des Resorts in großer Runde ausklingen. Mike und Scott sind auch noch vorbeigekommen. Von ihnen kam der Tipp, dass hier in dieser kleinen Hütte das vielleicht beste Restaurant der Nordinsel zu finden sei. Kann ich nur bestätigen. Tolles Essen, ein begabter Koch mit Entertainer-Qualitäten und ein Super-Service. Klein und fein. Und klar, feuchtfröhlich wird's auch. Zwar darf das Restaurant (noch) keinen Alkohol ausschenken, aber man darf sein eigenes Bier und seinen eigenen Wein mitbringen. So langsam beginnen wir Abschied zu nehmen. Vom Orca Camp, vom Cluxewe Resort und vom nördlichen Vancouver Island.

Frühmorgens treten wir den Heimweg an. Von Nanaimo geht es mit BC Ferries nach Horseshoe Bay. Idealer wäre die Passage vom Duke Point Ferry Terminal bei Nanaimo hinüber nach Tsawwassen (südlich von Vancouver) gewesen, um den hauptsächlichen Stadtverkehr auf der Weiterfahrt ins Fraser Valley zu umgehen. Aber diese Fähre haben wir verpasst. "It is what it is", würde Andy sagen. Direkt nach dem Anlegen düsen wir über den Trans-Canada-Highway an Vancouver vorbei. Unser letztes Ziel wäre eigentlich der Fort Langley Campground gewesen. Aber Traveland-Monika und ihr Mann Harie haben uns zu sich nach Hause zum "Brazilian BBQ" eingeladen. Das kennen wir schon von früheren Reisen und können nicht widerstehen!

Am letzten Morgen geben wir unsere treuen Navions schweren Herzens bei Traveland zurück und lassen uns zum Vancouver Airport bringen. Unser Gepäck lassen wir hier einschließen. Mit dem Skytrain fahren wir kostenlos die zwei Stationen bis zum neuen McArthur-Glenn-Outlet-Center. Markus und ich hatten das unseren Frauen und Töchtern versprochen. Das Outlet Center ist wirklich schön angelegt. Soweit ich als Mann das beurteilen kann, findet man hier alles, was man so an Marken benötigen könnte. Vor allem aber auch einen empfehlenswerten Coffee Place im Zentrum der Anlage. Alle Jäger sind am Ende mit ihren Schnäppchen zufrieden und endlich kann ich mich erschöpft in meinen Flugzeugsitz fallen lassen.

Wir sind am Ende eines großartigen Trips angelangt. Vieles wird uns in seiner Einmaligkeit wohl erst im Laufe der Zeit bewusst werden. Mir selbst bewiesen habe ich mir aber bereits jetzt, dass es Vancouver Island mehr als wert ist, alleiniges Ziel einer Kanadareise zu sein. Und dass zwei intensive Wochen einer längeren Reise in nichts nachstehen müssen. Ich bin sicher, dass wir alle in ein paar Jahren nicht mehr genau wissen, ob wir 20, 16 oder 12 Tage unterwegs waren. Vergessen werden wir aber nicht, dass wir mit Lachsen geschnorchelt und mit Orcas gepaddelt sind. Das bleibt - für immer.

Schnorcheln mit Lachsen

Orca Camp

Painters Lodge Fishing Trip