Kanada 2016
Tagebuch einer Reise von Franz-Josef Segin

Es ist die dritte Tour, die ich in diesem Jahr gemeinsam mit meiner Frau Ulrike nach Kanada machen werde. Jedes Mal waren wir in der Provinz British Columbia. Denn hier lebt auch unsere Tochter Alina, die wir auf unseren Reisen immer besuchen bzw. sie mit uns gemeinsam auf Reisen geht. Wer wissen will, was diese Provinz gegenüber Deutschland ausmacht, besagt die Statistik:

  • BC ist flächenmäßig 2,6mal so groß wie Deutschland

  • In Deutschland leben aber 17mal mehr Menschen als in BC

  • Und die Hälfte der Einwohner BCs leben im Großraum Vancouver


Soweit die Statistik. Was das mit den Menschen in Kanada macht und wie sich das für uns Europäer anfühlt, muss jeder selbst vor Ort testen. Wir wollen nun zum dritten Mal diesen Selbstversuch wagen.

10. August
Er ist da, der große dicke Briefumschlag von SK. "Your dream is here", steht vorn auf dem Umschlag neben den Fotos aus Kanada. Dreiviertel des Umschlags werden damit ausgefüllt. Ja, richtig, kann ich da nur ganz persönlich sagen. Es wird zwar jetzt bereits die dritte Reise werden, die wir in der für uns Europäer unendlichen Natur Kanadas verbringen. Aber trotzdem beginnt das Kribbeln für das sehnsüchtig erwartete "ready for take off". Wir, das sind Ulrike, meine Frau, leider nicht ganz so flugbegeistert wie ihr Mann, Franz-Josef, Chronist der bald beginnenden Reise.

15. August
Und jetzt auch noch das. Unsere Gedanken kreisen in den letzten Tagen sowieso schon andauernd um die Tour: "Was muss ich noch kaufen?" - "Was kann ich schon mal beiseitelegen?" - "Ist das auch nicht zu schwer für den Flieger?" Und dann heizt 3 SAT mit seiner dreiteiligen Doku "Im Zauber der Wildnis" unsere Erwartungen weiter an. Phantastische Bilder aus den Nationalparks Banff, Kluane und Denali. Diese Bilder pushen noch mehr, denn die vielen Täler, Seen, Gebirgszüge, die gezeigt werden, haben wir schon in natura gesehen. Die Sätze, die dann kommen, kennt sicherlich jeder: "Da waren wir auch schon" - "Da müssen wir aber dringend noch mal hin.“ Und das bei dem Wissen, wie groß dieses Land ist. Wir beschränken uns auch bisher auf BC, die Provinz, in der unsere Tochter Alina seit mittlerweile seit fast sechs Jahren mit Begeisterung lebt. Diese Provinz ist flächenmäßig zweimal so groß wie Deutschland. Da bleibt genügend Platz für mindestens weitere zehn dreiwöchige Reisen. Denn hinter jeder Kurve des Highways bietet dieses Land so viel überraschend Neues, auf jeder Waldlichtung, an jedem Gletscherstrom, egal, ob in den Purcell, Rocky oder Coast Mountains.

30. August
Jetzt geht's los! Tolles Wetter, als wir aus dem Rheinland aufbrechen. Erst mal nach Amsterdam. Verrückt, aber preisgünstig dank der Wettbewerbssituation zwischen Lufthansa und KLM. So werden wir morgen entspannt nach Frankfurt fliegen und dann in den Flieger nach Vancouver steigen. Einfacher geht's nicht, zumal wir bereits in der Nähe des Flughafens übernachten, das Auto auf dem Hotelparkplatz stehen lassen können und mit dem Shuttle ans Terminal gebracht werden.

31. August
Ein perfekter Start in den Tag. In Ruhe aufstehen, einchecken, frühstücken. Danach geht's langsam in den Boarding-Bereich. Zeitvertreib mit dem Tablet. Was gibt's zu Hause, was in der restlichen Welt. u.a. Agenturmeldungen aus Frankfurt, "Ein Terminal gesperrt." - "Bombenfund." - "Passagierin durchbricht den Sicherheitsbereich". Auf welches Terminal müssen wir eigentlich? Was soll's.
Wir haben noch zwei Stunden. Bis dahin sollte die Frau gefunden sein und alles wieder palletti. Fast pünktlicher Start in Amsterdam. Die Crew ist zuversichtlich, dass in FRA alles in Ordnung sein wird, wenn wir im Anflug sind. Doch das ist eine Fehleinschätzung. Keine Landung, Tankstopp in Köln/Bonn. Warten. Die Zeit rinnt davon, die Maschine nach Vancouver müsste jetzt auch in Frankfurt starten. Tut sie aber nicht. Sie fährt Richtung Startbahn, als wir am "Rüssel" angedockt werden. C'est la vie! Am Lufthansa-Terminal beginnt das Chaos. Also erst mal einen Notruf bei SK absetzen. Aber ihnen verraten wir nichts Neues. Sie wissen Bescheid, waren schon aktiv und beruhigen uns. Wir sollen schon für die nächste Maschine eine Reservierung haben. Und was ist mit unseren nächsten Stepps? Übernachtung in Vancouver, Flug nach Port Hardy, Mietwagen, weitere Übernachtungen. Alles war von SK genau getaktet. Woher wussten wir eigentlich im Vorfeld, dass wir diesmal mit einem Reisebüro auf Tour gehen sollten? Noch genauer ausgedrückt: Warum machen wir zum ersten Mal Urlaub, organisiert von einem Reisebüro? Egal, es war eine kluge Entscheidung. Wir haben noch keinen Lufthansa-Schalter erreicht - das wird rund sechs Stunden dauern, wir wissen es nur noch nicht - da kommt aus Senden Entwarnung. Alles geregelt, alle Anschluss-Buchungen um 24 Stunden verschoben. Jetzt fehlt nur noch die Board-Karte für morgen, eine Hotel- und ein Taxi-Voucher.

1. September
Auf ein Neues. Es klappt, so gut wie nie. Ein toller Flieger: die Hansa macht Lust und lässt dem Passagier Luft. Da macht sich das etwas andere Arrangement bezahlt. Und so geht es dann in Vancouver weiter. Von der Gepäckaufnahme bis zur Rezeption des Hotels sind es gerade einmal 300 m - einfach nur durch die Abflughalle. Und dann das Zimmer: Bodentiefe Fenster mit Blick auf den Flughafen, die Landebahn und in zwei Kilometer Entfernung der Pazifik.

2. September
Das erste Foto, das mein Gehirn nach dem Aufschlagen der Augen erreicht, ist so, wie ich es mir am Abend vorher vorgestellt habe. Aber jetzt wartet Vancouver Island. Mit dem Shuttle geht es vom Airport zum South Airport Vancouver. Luftlinie 300 m, aber auf der anderen Seite der Start-und Landebahn. Hier ist nichts international. Hier ist es kanadisch gemütlich. Und das ist wörtlich gemeint. Jeder, der schon einmal drüben war, weiß, was ich meine. Keine Körperscanner, keine Schranken, keine Security - dafür Menschenkenntnis und Vertrauen. Der Flug nach Port Hardy verläuft in Wolken, aber ruhig. Erst im Anflug auf den Airport öffnet sich auch der Himmel und lässt vieles erwarten. Gepäckaufnahme, Mietwagen-Übernahme und auf geht es nach Port McNeill. Das Cabin auf dem Campground ist klein, aber für zwei ausreichend. Abends geht's noch mal nach Port Hardy. Mein Partner für drei Tage kanadische Wildnis kommt mit dem Flieger an. Charly ist der Lebensgefährte unserer Tochter. Wir werden morgen früh gemeinsam von Port McNeill aufbrechen.

3. September
Endlich beginnt das Event, das uns zu diesem Reisedatum verleitet hat. Ulrike gewann 2015 beim Kanadatag in Langenfeld ein 3-tägiges Orca-Camp für 2 Personen. Und der 3. September ist die letzte Möglichkeit in diesem Jahr, um das "Ticket" zu lösen. Ulrike hat auf dieses Event verzichtet: sie hat Rückenbeschwerden, die massiv und leider nicht kompatibel mit campen und kajaken sind. Für sie springt Charly ein. Treffen mit den anderen Teilnehmern, Allison und Andrea aus New York, Ines und Thorsten aus Thüringen (Gewinner des Kanadatag 2015 in Leipzig) und wir beide. Unsere Guides: Jeremy, der Mann für die Exkursionen, und Jordan, der Mann für das Camp mit besonderem Faible für die Fauna des Pazifiks. Zunächst heißt es mit rund 15 anderen Wal-Touristen: hinauf aufs Motorboot und ab Richtung Norden zu einer Waltour. Das Wetter ist phantastisch, strahlend blauer Himmel, das Wasser so glatt wie in der Badewanne und das Licht reflektiert auf dem See in den schönsten Blau-Weiß-Tönen, wie ich es bisher nur in Kanada erlebt habe. Und dann beginnt die zweistündige animalische Show. Grau-, Buckel- und Schwertwale, Seelöwen, Otter, Delphine, Weißkopfseeadler und viele Meeresenten, Seetaucher und Sturmvögel. Kamera, was willst du mehr?! Und zwei, drei Aufnahmen sind wirklich ganz gut gelungen. Deshalb werde ich auch in diesem Jahr erstmals beim Fotowettbewerb teilnehmen. Am frühen Nachmittag heißt es dann Bootswechsel. Zu acht geht es jetzt mit dem Wasser-Taxi ins eigentliche Orca Camp. Es liegt eine halbe Stunde südlich von Telegraph Cove, ein bekannter Ausgangspunkt für Walbeobachtungstouren. Eine kleine Bucht namens Robson Bight, mit Kiesstrand. Umgeben von dichtem Regenwald und Felswänden. Mitten in der Natur, weitab von Facebook, WhatsApp und iMessage. Und auch sonst ist vieles sehr natürlich belassen: die offene Küche mit Wohn- und Essbereich, offen, aber regenfest; dafür die Vorräte und Essensreste stets bärensicher verstaut. Das Trinkwasser ist reinstes Quellwasser aus einem nahen Bach. Ganz neu: ein Duschhaus aus duftendem Zedernholz mit verschwenderisch heißem Wasser. 100 Meter weiter die Schlafzelte für die Gruppe. In 200 Metern Entfernung folgt der Sanitärbereich, der, für "Zivilisationsverwöhnte", zunächst ein Schock, aber nach drei Tagen kein Gesprächsthema mehr ist. Jeder weiß, dass uns das Optimum geboten wurde, ohne die Natur zu beeinträchtigen.

4. September
Orcas, wir kommen - die erste Tour beginnt. Da wir unsere Garderobe für die Ausfahrt bereits am Abend vorher ausgesucht hatten (Regenjacken, Spritzdecken, Rettungswesten, Packsäcke), fehlt nur noch die Antwort auf die Frage: "Wie komme ich in dieses doch sehr schmale, auf dem Wasser wackelnde Kajak?" Jeremy zeigt, wie's geht. So einfach hatten wir uns das nicht vorgestellt. Aber so ist es auch nicht. Charly, nicht zum ersten Mal in einem solchen Gefährt, beweist es uns kurze Zeit später. Bei 15° C Wassertemperatur ist erst mal ein Wäschewechsel notwendig. Die rund sechsstündige Tour ist ein besonderes Erlebnis, vor allem mit einem Guide wie Jeremy. Nicht nur, weil er immer wieder versucht, für das Abendessen einen Lachs zu fangen, nein, vor allem wegen seines Wissens um Flora und Fauna. Hinzu kommen die eigenen Eindrücke, die durch die langsame Fortbewegung im Kajak wesentlich intensiver aufgenommen werden. Dass wir den Orcas nicht so nah gekommen sind, wie wir uns das alle wohl erträumt hatten, lag sicherlich an der späten Jahreszeit. Die Wale machten sich bereits wieder auf ihre große Reise. Aber wir haben sie dennoch gesehen, die Orcas, Humpbacks und Sealions. Das kann uns keiner mehr nehmen, auch nicht die Lesestunden von Jeremy abends am offenen Feuer. Er liest Legenden und überlieferte Geschichten vom Raben ("The Raven"), ein Mythos im Nordwesten Kanadas.

5. September
Ein letztes Mal geht es aufs Wasser. Für 16 Uhr hat sich das Wasser-Taxi angemeldet. Doch das Wetter ist nicht so wie am gestrigen Tag. Kälter, windiger, das Wasser unruhiger. Jeremy informiert uns, dass wir nicht so weit herausfahren können. Der Wind soll noch viel ungemütlicher werden. Also Kräfte sparen. Dann eine Nachricht über Funk: Orcas auf dem Weg, wir könnten sie noch sehen, bevor wir an Land müssen. Also umdisponieren, zurück ins Camp, einen kurzen Lunch und dann wieder aufs Wasser. Gesagt getan, anschließend wieder in die Kajaks. Doch noch mal umdisponieren. Thorsten, mein Partner im Zweier, will an Land bleiben. Keine Option für mich. Also ins Einer und hinaus aufs Wasser. Hui, wesentlich wackliger als die ersten Male im Zweier. Aber was soll's. Jetzt könnte es das Foto geben, von dem ich geträumt habe. Ja, ich schreibe Geschichte, nicht Fotogeschichte, sondern als derjenige, der mit den Orcas schwamm. Denn in dem Augenblick, als die beiden Orcas an uns vorbei schwimmen wollen - Platsch! - schaue ich mir die Unterwasserwelt aus der Nähe an. Der Rest, der zu erzählen wäre, hat dank Jeremy perfekt geklappt: Kajak drehen, Wasser raus, Paddel festhalten, hinten aufs Kajak klettern, mit den Füßen langsam ins Boot rutschen. Und schnell an Land paddeln. Ein Königreich für die heiße Dusche.

6. September
Nach einer Nacht unter der warmen Bettdecke ist das Orca-Camp in den Erinnerungen abgelegt und alles Missliche vergessen. Jetzt heißt es, Koffer packen, rein in den Mietwagen und ab zum Airport Port Hardy. Beim Einchecken ein typisches Erlebnis für Kanada, das wir in Europa erst gar nicht zu träumen wagen. Vor uns ein Ehepaar, halb aus der Schweiz, halb aus den USA, mit reichlich Übergepäck. Verständlich nach sechs Wochen auf der Insel. Das Flughafen-Personal weist auf die Mehrkosten hin und fragt uns dann, ob wir nur die beiden Rücksäcke, also nur Handgepäck hätten. Und schon ist die Sache geregelt. Das Übergepäck wird unseren Tickets gut geschrieben und das Ehepaar spart viele "loonies and toonies". Von Port Hardy soll es kurz nach 12 Uhr Mittags mit dem Flieger zurück nach Vancouver gehen. Dort wartet unser RV. Doch er wird länger warten müssen, so wie wir länger auf unseren Flieger warten. Zwei Stunden Verspätung bedeuten: "Heute können Sie Ihren RV nicht mehr übernehmen." Diese telefonische Antwort trifft mich in Vancouver wie ein harter Schlag. Zum ersten Mal bin ich vom Service in Kanada enttäuscht. Das habe ich nicht erwartet. Schließlich fehlen gerade einmal 15 Minuten. Zu Hause hätte ich es erst gar nicht probiert. Aber hier? Zumindest erhalten wir von Traveland noch einen Übernachtungs-Tipp in der unmittelbaren Umgebung.

7. September
10 Uhr Morgens - endlich stolzer Besitzer unseres RVs für die nächsten 13 Tage. Hoffentlich bringt diese Zahl kein Unglück. Aber eigentlich hatten wir auf dieser Reise schon genug Pech. Also das Auto richten, Navi programmieren - unsere Tochter und Charly warten schon seit 24 Stunden in Powell River auf uns - und los geht es. Was noch geht, ist die Motor-Kontrollleuchte. Das nenne ich Kontinuität. Aber zum Glück nie das gleiche Pech, immer was anderes. Also zurück zu Traveland. Sind nur 5 km. Die Beruhigungspille hier: "Die Kontrollleuchte brannte auch schon beim Vormieter. Also nichts Schlimmes. Sie können weiter fahren." Dieser Pragmatismus kommt mir durchaus entgegen. Aber ich bin sicher, dass so mancher Zeitgenosse bei dieser Aussage mehr als nervös geworden wäre. Jetzt also los. Wir wollen die Sunshine Coast hoch bis Powell River. Das bedeutet zweimal mit der Fähre. Erst von Horseshoe Bay nach Gibsons, später von Earls Cove nach Saltery Bay. Immer schön auf dem Highway BC-101. Auch wenn es regnet, die Häuser, die Vegetation, das Drumherum lassen erahnen, dass dieses Fleckchen Erde nicht umsonst den Namen Sunshine Coast trägt. Das wird auch auf dem Campingplatz deutlich. Mit dem RV in der ersten Reihe direkt am Pazifik und den Blick gen Westen in die untergehende Sonne.

8. September
Heute ist die Welt wieder in Ordnung - sprich Sonne pur. Wir fahren nach Lund, weiter geht es nicht. Das ist das Ende des Küstenstreifens. Und doch ist es ein besonderer Anziehungspunkt. Aber das merke ich erst, als ich zu Fuß vom Parkplatz ans Wasser laufe. Denn ich muss an einem Obelisken vorbei "Mile 0 - Highway 101". Und schon klingelt es bei mir. Der Traum eines jeden Bikers. Hier starten und 15.202 km später in Quellon, Chile, ankommen. Immer entlang der Pazifik-Küste. Unsereinen interessiert da schon wesentlich mehr die kleine Bäckerei mit leckeren Kleinigkeiten, die immer große Wirkung erzielen können. Und nicht unerwähnt bleiben sollte die Art Galerie, etwas anders als andere. Vor allem heimische Künstler bekommen hier eine Chance. Die üblichen Souvenirs Fehlanzeige. Sehr erholsam für einen überall stark umworbenen Touristen.

9. September
Es ist nicht unsere erste RV-Reise. So dauert es nur wenige Minuten, bis wir abfahrbereit sind. Die Versorgungsleitungen (Wasser, Strom, Abwasser) kappen, im Wagen alles fest verstauen und schon geht es los Richtung Vancouver. Nach der ersten Fähre wollen wir uns einen neuen RV-Park suchen und zwei Tage dort noch bei diesem schönen Wetter bleiben. In Gibsons werden wir fündig. Der Park, kein Schnäppchen, aber in puncto Sauberkeit und Ausstattung toppt er auch noch die guten Plätze, die wir bisher angelaufen haben. Die Stellplätze großzügig bemessen und der Anteil Dauercamper und unsersgleichen dürfte bei 50 : 50 liegen. Einziges Manko des Platzes ist die Entfernung zur Stadt. Da wünsche ich mir ein Fahrrad. Aber das ist nicht im Portfolio der RV Stationen. Es soll sich aber wohl im nächsten Jahr ändern, wie die neuen Prospekte schon verraten. Das Zauberwort heißt eBike.

10. September
Gibsons Landing ist ein sehr fotogener Ort direkt am Hafen. Bei dem Wetter heute - strahlend blauer Himmel, Sonne, warm - liegt das Wasser changierend in vielen Blautönen. Einziger Nachteil des Ortes: Er liegt am Steilhang. Zum Hafen geht es noch, aber der Rückweg? Doch auf einen Spaziergang durch den Ort will ich nicht verzichten. Alte Häuser und solche, die entsprechend hergerichtet wurden, Restaurants, kleine Geschäfte, Cafés. Alles ist stimmig. Wenn die Autos fehlen würden, es könnte ein paar Jahrzehnte früher aufgenommen worden sein.

11. September
Am Vorabend noch einen Stellplatz in Squamish gebucht. Es liegt auf halbem Weg nach Whistler, ein geplantes Ziel für später. Aber erst einmal mit der Fähre nach Horseshoe Bay und dann entlang der Steilküste Richtung Squamish. Wenn eine Straße den Begriff Traumstraße verdient hat, dann diese. So ein Panorama habe ich noch nie gehabt. Ich fahre in den Norden, die Sonne steht im Südwesten. Das Licht, das Wasser, der Himmel - traumhaft. Und dann keine Möglichkeit zu parken und zu fotografieren. Hangseitig gibt es nun mal keine Parkplätze, und die auf der Gegenfahrbahn sind verständlicherweise alle belegt. Die Fotos müssen also im Kopf bleiben. Der RV-Park ist ein typischer Wald-Campground - gemütlich, idyllisch und sehr einfach. Anders würde es auch nicht zusammen passen. Toiletten und Duschen sind aber sauber - wie immer in BC.

12. September
Der RV bleibt stehen. Heute bewegen wir uns. Gegenüber des RV-Parks verläuft der Fußweg zu den Shannon Falls. Und weiter geht es zur Talstation von "Sea to Sky"-Gondola. Sie wird uns jetzt 850 Meter in die Höhe bringen. Oben angekommen erwartet uns ein atemberaubender Ausblick weit ins Land. Eine weitere Aussichtsplattform können wir über die 100 Meter lange Sky Pilot Suspension Bridge (Hängebrücke) erreichen. Von hieraus beginnt eine Zeitreise durch die Vergangenheit der Ureinwohner dieses Landes; der Squamish. Ein Muss für jeden, der sich für mehr interessiert als das Hier und Jetzt. Bevor der Weg an der Gondola endet, zweigt ein weiterer Rundweg ab, der Panorama Trail. Dieser trägt seinen Namen zurecht. Alle zehn Meter könnte ich stehen bleiben und einen weiteren Panoramaeindruck mit der Kamera festhalten. Aber hier ist mehr zu sehen als das. Der Trail ist bekannt für seinen Küstenwald, die großen Granitplateaus und die Sträucher der Alaskan Blueberries. Und auf der Hälfte des Weges die Chief Overlook Platform. Die Plattform ragt weit ins Tal und gibt einem ein besonderes Gefühl von Freiheit: Schwerelos im Raum!

13. September
Weiter geht's mit Sack und Pack den Highway 99 entlang gen Norden. Das Ziel lautet Whistler. Einen Platz auf einem RV Park haben wir noch nicht, aber wir machen uns da auch keine Gedanken. Die Plätze sind zurzeit grundsätzlich nicht 100 %ig ausgebucht. In Squamish lassen wir den Pazifik hinter uns zurück und es geht stetig weiter rauf in die Berge. Bis Whistler heißt es über 600 Höhenmeter zu überwinden. Mit vielen Winterbildern im Kopf fahren wir in den Ort und sind im ersten Moment enttäuscht. Irgendwie sieht das ganze ohne Schnee etwas verloren aus. Ein erster Fußmarsch durch das Village stimmt uns dann aber wieder versöhnlicher. Ein typischer Wintersportort mit vielen Restaurants, Modeläden und Sportgeschäften. Letztere zeigen im Sommer keine Skier, Snowboards oder Overalls, sondern Mountainbikes, Rennoutfits und Zubehör.

14. September
Das Wetter schreit nach einer Fahrt mit der Gondola auf den Whistler Mountain. Zusammen mit dem Blackcomb bilden diese beiden Berge das größte Skigebiet in Nordamerika. Heute ist aber Sommer angesagt. Eine traumhafte Fernsicht. Und hier oben gibt es noch ein besonderes Angebot. Vom Whistler Mountain geht es mit der PEAK 2 PEAK Gondola rüber zum Blackcomb. Eine Anlage der Superlative mit zwei Einträgen im Guinessbuch der Rekorde: Die größte Distanz zwischen zwei Stützpfeilern mit über 3.000 Metern (bei einer Gesamtlänge von 4.4 Kilometern) und die größte Distanz zwischen dem Boden und der Gondel mit 436 Metern. Das ist Erlebnis pur - und der Fotograf weiß nicht, welchen Eindruck er zuerst festhalten soll. Auf dem Blackcomb wartet dann auch noch ein ganz tierisches Erlebnis auf uns. Fünf Murmeltiere tummeln sich an den Hängen direkt an der Lift-Station. Ihr Pfeifen hat seinerzeit dem Dorf im Tal seinen Namen gegeben. Und die Tiere heißen mittlerweile genauso: Die Whistler von Whistler.

15. September
Eigentlich wollten wir heute nach Vancouver fahren und mal wieder den RV Park wechseln. Aber dort regnet es, hier scheint die Sonne pur. Und zum Glück können wir einen Tag dranhängen und jeden Sonnenstrahl genießen. Nachmittags machen wir uns noch einmal auf ins Village, ein wenig shoppen, bummeln, Kaffee trinken. Je länger wir hier sind, desto besser gefällt uns dieses Fleckchen Erde. Und jedes Mal entdecken wir im Dorf wieder etwas Neues. Diesmal ist es eine kleine Bäckerei am Olympia Plaza. Die Kuchen und Kekse sind ein Traum. Und für alle Kulturbeflissenen sei noch erwähnt: Das Squamish Lil'wat Cultural Centre ist ein Muss für all jene, die mehr über die Heimat der Natives erfahren wollen. Aber früh genug nach den Öffnungszeiten sehen. Den Fehler haben wir gemacht. Jetzt müssen wir noch einmal wieder kommen, aber das ist ja auch nicht so schlimm.

16. September
Jetzt heißt es endgültig: zurück nach Vancouver. Auf dem Weg machen wir zunächst noch einen Abstecher in den Olympic Park: Sprungschanze, Biathlonstadion mit Schießanlage, Langlaufloipen. Auch ohne Schnee sind die Sportstätten einen Besuch wert. Zweiter Anlaufpunkt sind die Brandywine Falls. An diesem Wasserfall steht der Tourist nicht unten und schaut nach oben, sondern genau anders herum. Auf gleicher Höhe stehend, sehen wir die Wassermassen im freien Fall 70 m in die Tiefe rauschen. Die Wasserfälle sind Teil des Brandywine Falls Provincal Park, der für gefahrlose Wege und Aussichtsplattformen sorgt. Der Ausblick ist nicht nur Richtung Wasserfall wunderschön. Die letzte Plattform ermöglicht einen herrlichen Blick auf den Daisy See und die angrenzenden Bergketten. In Vancouver haben wir uns einen Platz auf dem einzigen RV Park der Stadt gesichert: Capilano RV Campground. Hier waren wir bereits vor drei Jahren einmal, wissen also um die Vorzüge des Platzes. Er liegt direkt an der Lions Gate Bridge, die North Vancouver mit dem Stanley Park verbindet. Ideal, um mit dem Bus oder zu Fuß nach Downtown zu kommen.

17. September
Fotos von der Skyline Vancouver sind immer wolkenlos. Doch das ist nicht die Realität. Nebel und Regen bestimmen mehrheitlich das Bild der Stadt. Und heute ist wieder so ein Tag. Nachmittags um drei hört es dann endlich auf zu regnen. Wir wagen es, zu Fuß nach Downtown. Ohne viel Hoffnung auf Wetterbesserung lasse ich die Kamera gleich im RV. Das ist ein Fehler, wie sich nach einer Stunde herausstellt. Also mache ich das, wofür ich mich bei anderen fremdschäme: Ich fotografiere mit dem Smartphone. Als Schnappschuss geht's, als Beweissicherung für die Anwesenheit der Sonne auch. Morgen habe ich garantiert meine große Ausrüstung mit dabei, egal, wie das Wetter ist.

18. September
Heute nehmen wir mal den Bus nach Vancouver. Für alle, die dieses Erlebnis noch nicht mitgemacht haben, drei Tipps: Der Busfahrer gibt kein Wechselgeld raus, nimmt keine Scheine und auch keine Kreditkarte an. Also immer viel Kleingeld in der Tasche halten. In Downtown angekommen bleibt die Wahl: zu Fuß über die Granville Street Bridge nach Granville Island oder noch mal per Bus fahren. Wir entscheiden uns für die Füße. Es ist Sonntag und die gerade einmal 20 ha große Halbinsel Granville Island quillt über vor Menschen. Hier treffen wir nicht nur Touristen, sondern auch viele Einheimische und Ausflügler aus dem Umland, die hier bummeln und shoppen wollen. Große Markthallen mit frischem Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse - italienisches, koreanisches, vietnamesisches oder chinesisches Fastfood - eine Glashütte, eine Druckerei, Geigenbauer, Schuhmacher, Juweliere und Töpfereien - mehrere Theater und eine eigene Brauerei. Alles auf einer ehemaligen Industriebrache errichtet - einschließlich einer Kunstakademie. Was es hier nicht gibt, sind ausreichend Parkplätze, dafür aber umso mehr Autofahrer, die einen suchen.
Auf Granville Island lässt sich ein Sonntag angenehm verbringen.

19. September
Der Tag beginnt schlecht. Wir müssen heute Richtung Langley, um dort morgen früh unseren RV abzugeben. Vorher haben wir aber noch ein wenig in Vancouver vor. Auf dem Plan steht ein Abstecher zur Capilano Suspension Bridge. Am Eingang ändern wir unsere Meinung. 40 Dollar pro Kopf für einen kurzen Abstecher, da landet die Hängebrücke bei uns wieder im Ordner "Noch zu erledigen".
Aber es gibt ja wenige Kilometer weiter noch die Seilbahn auf dem 1.200 Meter hohen Grouse Mountain; dem Hausberg Vancouvers. Aber auch das scheitert. Der Berg liegt im dichten Nebel. Ein Ausblick auf die Metropole eher unwahrscheinlich. Also fahren wir jetzt gemütlich Richtung Langley. In Fort Langley finden wir ein Plätzchen für unseren RV. War nicht ganz einfach, denn eine Beschilderung zum RV Park, wie wir es im Internet gelesen hatten, gibt es nicht. Und das Navi wollte irgendwann auch nicht mehr. Der Platz selber ist dann zu guter Letzt auch nur als Campground ausgewiesen. Fort Langley entpuppt sich als ein kleines historisch belassenes/gestaltetes Städtchen. Alte, frisch renovierte Häuser (das älteste datiert von 1914) neben neuen Gebäuden in alter Optik. Kurz vor dem Bahnübergang ein herrliches Café mit leckeren Naschereien aus der Backstube. Wenn die Warteschlange am Tresen ein Beweis für die Qualität des Cafés ist, dann haben wir hier einen Volltreffer gelandet.

20. September
Jetzt heißt es Abschied nehmen, erst von Fort Langley, dann von unserem RV und Traveland. Ein Taxi bringt uns zum Flughafen. Wir sind viel zu früh am Airport, aber das Wetter ist wieder so schön, dass wir noch einmal gut drei Stunden vor der Abflughalle in der Sonne sitzen können. Taxis, Pickups, SUVs, Limousinen fahren vor, Menschen mit den unterschiedlichsten Hautfarben, jeden Alters und verschiedenen Sprachen steigen aus. Wie erholsam dies hier vonstattengeht. Alles freundlich, ohne Hektik, ganz entspannt. Nach diesen drei Stunden fällt der Abschied von BC noch ein wenig schwerer, auch wegen des Verlängerungswetters, das wir bis zum Schluss in vollen Zügen genossen haben. Dafür haben wir einen Trost: Wir wissen bereits, wann wir nächstes Jahr wiederkommen. Dann werden es zwar nur zwei Wochen, aber wir kommen wieder.