Polarbärenguide in Churchill Manitoba - Kanada Mehrtagesexkursion

DER POLARBÄRENGUIDE

An der Hudson Bay, in der wilden Tundra von Manitoba, liegt unweit der Ortschaft Churchill die kleine Siedlung Camp Nanuq. Hier leben nur eine Handvoll Leute. Die meisten davon, sagt Kelsey Eliasson, "sind ziemlich schräg drauf".
Text und Fotos: Birgit-Cathrin Duval


Als Kelsey Eliasson nach Hause kommt, sieht die Küche aus wie nach einem Bombenangriff. Zerbrochenes Geschirr, zersplitterte Schranktüren, die Vorratskammer verwüstet. Nur die Tasse auf dem Tisch ist unversehrt, als hätte sich der Eindringling einen Kaffee gegönnt. Die Hütte war gut gesichert, Türen und Fenster mit Nagelbrettern verriegelt. Genutzt hat es nichts. "Wenn sie reinwollen, dann schaffen sie es auch", sagt Kelsey. "Dieser Polarbär hat einfach das Brett abgerissen und ist durchs Fenster reinspaziert."

Auge in Auge mit den Königen der Arktis

Kelsey bekommt öfter Besuch. Die weißen Riesen, Ursus Maritimus, sind die größten und gefährlichsten Landraubtiere der Welt. Da schaut man schon mal um die Ecke, bevor man aus dem Haus geht. Besonders, wenn man in Camp Nanuq lebt, einer kleinen Siedlung aus Holzhütten, rund 20 Kilometer außerhalb der Ortschaft Churchill. Die nennt sich stolz Eisbärenhauptstadt und zieht jedes Jahr ab Oktober die Bärenbeobachter in den hohen Norden Manitobas. Während der Eisbärensaison von Oktober bis November sind alle Hotels und Unterkünfte ausgebucht. In Camp Nanuq leben nur eine Handvoll Leute. Die meisten davon, sagt Kelsey "sind ziemlich schräg drauf".
Kelsey, Mitte 40, stammt aus Riverton in Süd-Manitoba. Ein kleiner Ort, gegründet von isländischen Auswanderern. Auf seine Wikinger-Vorfahren ist Kelsey stolz. Irgendwann hatte er die Prärie satt und zog gen Norden. In Churchill heuerte er als Fahrer eines Tundra Buggy an. Das ist das gepanzerte Fahrzeug, das die Touristen zum Fotografieren hinaus zu den Polarbären bringt. Und Kelsey wusste sofort, dass er ab sofort hier leben wollte - Auge in Auge mit den Königen der Arktis.

Nach zehn Jahren am Steuer des Tundra Buggy startete Kelsey sein eigenes Unternehmen. Er spezialisierte sich auf die Begleitung von Filmteams, die er ganz nahe an die Tiere führte. Zu Fuß, ohne den Schutz eines Tundra Buggy. Der Vorteil: Statt von oben herab können die Tiere in Augenhöhe fotografiert und gefilmt werden.

Und er begann zu lesen. So ziemlich alles, was je zum Thema Polarbären geschrieben wurde. Kelseys Wissensschatz über die Tundra ist enorm. Und darüber schreibt er während der Polarbärensaison. Täglich - in seinem "Polar Bear Alley"-Blog. Dort gibt es aktuelle News über Churchills Bären und informative Beiträge über das Verhalten der Tiere, das Wetter und die Natur. Halt über die Dinge, mit denen sich Kelsey seit Jahren beschäftigt. Mit "Polar Bears of Churchill" hat er inzwischen auch ein kleines Büchlein geschrieben, das gerade Touristen interessante Infos über Churchill und seine Bären vermittelt.

Wie fast jeder in Churchill ist der bärtige Kelsey mit seinen langen Haaren ein Lebens- oder Überlebenskünstler. Nach dem Arktissommer gilt es den harschen Temperaturen zu trotzen und dabei irgendwie auch seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ein paar Jahre versuchte Kelsey sich als Herausgeber von Churchills erster Zeitung, der "Hudson Bay Post". Der passende Untertitel der Zeitung: "Churchill's monthly newspaper, published occasionally". Doch wegen finanzieller Engpässe musste dieses Projekt weitestgehend aufgegeben werden. Hin und wieder gelingt es ihm jedoch, eine Ausgabe zu finanzieren. Mehr Geld verdient Kelsey neben seinen diversen Jobs als Tourguide mit der Malerei. Seine Polarbären-Acrylbilder sind inzwischen sehr gefragt und werden von Churchill landesweit an ihre neuen Besitzer verschickt.

Damit ich mir ein Bild von seinem Leben machen kann, holt mich Kelsey in Churchill ab. Mit dem Pickup-Truck rumpeln wir über den zugefrorenen See zu seiner Hütte in Camp Nanuq. Hier werden wir freudig begrüßt. Kelseys Hunde "Moonunit" und "Milo", ein Husky und ein Husky-Mix, springen vor der Hütte auf und ab. "Das ist der beste Bärenschutz", sagt Kelsey. Milo hat er darauf abgerichtet, Polarbären zu vertreiben. "Früher lag die Schrotflinte immer neben dem Bett", erzählt Kelsey. Einmal hat er einem Eisbären in die Tatze geschossen. "Der war drauf und dran, die Hütte dem Erdboden gleichzumachen." Heute besteht sein Bärenschutz aus einer alten Couch und einem Stapel Holz vor der Hütte. Geschossen hat er damals aus Unsicherheit. Soweit würde er es heute nicht mehr kommen lassen.

Kelsey holt Wasser aus einem Eisloch und kocht uns einen Kaffee. Fließendes Wasser gibt es in Camp Nanuq nicht. Strom ist vorhanden. Sogar Internet gibt es. "Aus dem ungesicherten WLAN des Nachbarn", grinst Kelsey. Er lebt hier mit seiner Freundin Karine, die ebenfalls als Guide arbeitet und sich als Polarbären-Fotografin einen Namen gemacht hat. Dank Kelsey kommt sie näher als jeder andere an die Bären heran. So entstehen faszinierende Aufnahmen, die bereits von namhaften Magazinen wie National Geographic veröffentlicht wurden.

Auch Karine weiß eine Bären-Story aus Camp Nanuq zu erzählen. Sie war in der Küche, als am Fenster plötzlich ein Schatten auftauchte. Sie dachte, es sei Kelsey, der neugierig ins Fenster schaut, was es wohl zu Essen gibt. Doch statt Kelseys bärtigem Gesicht starrten sie zwei schwarze Bärenaugen an. Karine schrie auf und ließ den Löffel fallen. Kelsey griff im Nebenraum sofort zur Schrotflinte, um draußen in die Luft zu schießen. So werden zu neugierige Bären in Camp Nanuq vertrieben.

Ob ihre Hütte in diesem Winter von einem ungebetenen Gast heimgesucht wurde, werden die beiden erst im nächsten Sommer erfahren. Nach der Polarbärensaison ziehen Kelsey und Karine mit ihren inzwischen drei Hunden nach Whitehorse in den Yukon, ihrer zweiten Heimat. "Dort ist der Winter wärmer", schmunzelt Kelsey. Doch zum Sommer, wenn sich die ersten Polarbären wieder an der Hudson Bay sammeln, kehren Karine und Kelsey zurück. Zu ihrer Hütte in Camp Nanuq.
Meine Hot-Spots in Churchill :

Bird Cove: Die Aussicht von der felsigen Küste an der Hudson Bay ist spektakulär. Hier sieht man Polarbären, Gyrfalken und Polarfüchse.

Sonnenaufgang auf dem Wasser - nur mit den Beluga-Walen um dich herum. Es ist einer meiner herrlichsten Augenblicke in Churchill. Schnorcheln mit den Belugas - ein absolutes Muss an der Hudson Bay!

Meine Hütte in Camp Nanuq - Es ist der beste Ort, um von der Veranda aus Polarbären zu beobachten. Manchmal sehen wir auch Wölfe und Karibus.


Zur Person: KELSEY ELIASSON

1972 in Riverton, Manitoba geboren
1990 Studium in Marketing und Geschäftsmanagement an der University of Manitoba
1995 Community Development Manager
1999 Umzug nach Churchill - Kelsey heuert als Tundra Buggy Fahrer und Dog Musher an
2006 Beginn der Selbstständigkeit - Er arbeitet unter anderem als Polarbären-Guide und als Wildnisführer im Hinterland

Heute lebt und arbeitet Kelsey mit seiner Freundin Karine Genest in seiner Hütte in Camp Nanuq. Mit den drei Hunden natürlich.