Im Norden von Ontario
Juli 2018

Text und Bilder: Markus Knüpp

Anfang des Jahres bekam ich von Destination Ontario die Einladung zu einer Inforeise nach Nord-Ontario. Wohin? Und was kann man da machen? So denken jetzt bestimmt einige von euch. Und ich muss zugeben, so ähnlich war auch meine Reaktion. Denn obwohl ich jetzt schon seit 25 Jahren dabei bin und zwischen Ost- und Westküste, zwischen US-Grenze und Nordwest-Passage schon fast alles gesehen hatte, war der Bereich zwischen Sault Ste. Marie und Thunder Bay noch immer ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Kanadakarte. Aber schon der erste Entwurf des Reiseprogramms machte mich extrem neugierig. Zwei Fly-in Lodges, Lake Superior Provincial Park, zwei kleine, aber lebhafte Städte und viel, viel Wildnis. Genau mein Ding. Umso mehr ich mich mit der Region beschäftigte und je näher das Abreisedatum rückte, desto größer wurde die Vorfreude.

Und dann geht es endlich los. Um 4 Uhr in der Nacht klingelt der Wecker. Sogar mein Hund weigert sich, aufzustehen und würdigt mich keines Blickes. Um kurz nach 6 geht mein Flieger von Münster nach Frankfurt. Also alles ganz entspannt. In Münster geht man vom Parkhaus zum Check-in keine fünf Minuten und es reicht, wenn man eine gute halbe Stunde vor Abflug dort ist. Von Frankfurt geht es mit Air Canada weiter nach Toronto. Der Flieger ist pünktlich, das Personal ist freundlich. Was will man mehr. So kenne ich das von Air Canada. Es ist etwa 12 Uhr und es landen gerade Maschinen aus allen Teilen der Welt. Man hat das Gefühl, der Flughafen platzt aus allen Nähten. Trotzdem geht die Einreise, wahrscheinlich auch wegen der neuen Terminal-Kioske, recht zügig. Da ich noch einen Weiterflug mit Air Canada habe, muss ich mein Gepäck nicht erst in Empfang nehmen und dann wieder aufgeben, sondern es wird direkt durchgecheckt. Eine extreme Erleichterung. Das war vor zwei Jahren noch anders.

Am Gate vor dem Weiterflug warten schon Gabe und Ralf von Destination Ontario Inc und ich lerne den Rest der kleinen Reisegruppe kennen. Die Stimmung ist von Beginn an richtig gut. Das ist schon die halbe Miete für so eine Tour. Leider muss der Propeller-Flieger, der uns nach Sault Ste. Marie bringen soll, nochmal ausgetauscht werden, so dass wir erst mit etwas Verspätung loskommen. Der Flug dauert nur 90 Minuten. Dann nochmal 20 Minuten Transfer zum Quattro Hotel and Conference Centre Sault Ste. Marie. Das Hotel liegt zwar nicht an der Waterfront, aber dafür ist es nagelneu, hat tolle Zimmer und ein super Restaurant. Das ist auch gleich unser Stichwort. Viel Zeit bleibt nicht. Nur kurz aufs Zimmer. Bloß nicht Probeliegen auf dem Bett, sonst schläft man direkt ein. Und dann um 7 Uhr Dinner im Quattro Vinotecca im Hotel. Dort erwartet uns Lindsey von Tourism Sault Ste Marie, die für unser Programm in und um „The Sault“ verantwortlich ist. Das ist nämlich das erste, was wir lernen. Kein Mensch spricht hier den vollen Stadtnamen aus, grundsätzlich heißt es nur The Sault, gesprochen wie the Sue. Danke, das macht´s einfacher!

Die Speisekarte ist wirklich gut. Da sollte jeder etwas finden. OK, erster Abend in Kanada – wer mich kennt, weiß, was es wird. Ein dickes Steak und zwei Bier. Herrlich! Und dann reicht es auch für heute, es war ein langer Tag.

Die erste Nacht in Kanada ist diesmal gar nicht so kurz wie sonst. Ich schaffe es tatsächlich bis sechs Uhr durchzuschlafen. Ein Blick aus dem Fenster zeigt blauen Himmel mit wenigen Wölkchen. Super, die Vorfreude steigt! Heute Nachmittag soll es nämlich mit dem Wasserflugzeug zur ersten Fly-in Lodge gehen. Jetzt aber erstmal Kaffee kochen, duschen, Emails beantworten und dann noch schnell ein leichtes Frühstück mit Eiern, Speck und Pancakes. Der Tag kann kommen!

Der Shuttlebus ist pünktlich um halb neun vor dem Hotel und bringt uns zur Algoma Art Gallery. Die Galerie hat im Sommer wechselnde Ausstellungen, doch irgendwie geht es auch immer um die „Group of Seven“, eine Gruppe kanadischer Maler, die durch ihre Darstellungen der kanadischen Natur und des Lebens in der kanadischen Wildnis bekannt wurde. Ich bin wirklich kein Kunstexperte, aber einen Besuch kann ich guten Gewissens empfehlen.

Ein absolutes Muss ist dagegen das nur fünf Minuten Fußweg entfernt gelegene Canadian Bushplane Heritage Centre. Die Halle ist vollgestopft mit unzähligen historischen Buschflugzeugen bis hin zu einem riesigen, ausrangierten Löschflugzeug. Hier könnte ich Stunden verbringen. Nach einer guten Stunde muss ich mich leider schon trennen, denn das Wasserflugzeug wartet vor der Tür. Also wirklich, direkt vor der Tür. Das Bushplane Centre liegt natürlich am Wasser und hat einen Anlegesteg und eine Art Bootsrampe. Und da unser Wasserflugzeug wohl zusätzlich noch über ein ausklappbares Fahrwerk verfügt, ist der Pilot aus dem Wasser heraus, die Bootsrampe hoch und direkt neben die Ausstellungshalle gefahren. Cool – sowas geht nur in Kanada.

Auf geht´s. Eine kurze Schleife über the Sault und dann hört die Zivilisation ziemlich schnell auf. Wir fliegen über endlose Wälder, unterbrochen von kleinen Flüssen, schroffen Felsen, mehreren Canyons und natürlich unzähligen Seen. Hier muss ich unbedingt Ende September nochmal hin, wenn der Indian Summer einsetzt.

Nach einer guten Stunde landen wir auf dem Esnagi Lake und machen bei strahlendem Sonnenschein am Dock der Lodge Eighty Eight fest. Geradeaus vom Dock befindet sich etwas erhöht die Main Lodge und ein Stück weiter rechts zwei Gebäude mit Suiten. Alles Log-Gebäude, also aus Vollholzstämmen gebaut. Super gepflegt, einfach schön. Das Innere der Main Lodge ist durch die Rundstämme super gemütlich. Auf der einen Seite ist der Essbereich und die andere Seite erinnert an einen urigen Pub mit Bar, Billardtisch, Sofas und Kamin.

Vor dem Abendessen bleibt noch Zeit für eine kleine Bootstour auf dem See. Also, ab in eins der Boote, die am Dock liegen, und los! Den Gästen der Lodge steht pro Zimmer ein Boot mit 20PS-Motor zur Verfügung, und zwar von Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang. Und am Morgen steht das Boot wieder gereinigt und vollgetankt bereit. Super Service.

Der Esnagi Lake ist schmal und 45km lang und wirkt fast fjordartig. Es gibt viele kleine Inseln und verschlungene Seitenarme. Hier kann man einige Tage verbringen. Schwimmen, angeln, faulenzen und vielleicht auch einige Tiere sehen. Vor allem in den frühen Morgenstunden sollen Bären und Elche am Ufer zu beobachten sein. Das ist mir nicht vergönnt, aber dafür kreisen im wieder Adler über uns.

Nach zwei herrlich entspannten Stunden auf dem See geht es zurück. Kurz vor dem Dinner trifft man sich in der Main Lodge, trinkt ein Bier an der Bar, spielt eine Runde Billard und geht immer wieder rüber zum Tisch mit den Appetizern – Häppchen vom frischen Walleye (Zander) im Speckmantel. Davon kann man nicht die Finger lassen. Als Hauptgang gibt es dann ein Steak nach Wunsch zubereitet. Gab es zwar gestern schon, aber Steak geht immer. Und wie es sich in einer Wildnis-Lodge gehört, endet der Abend dann draußen am Lagerfeuer. Einfach traumhaft. Hier würde ich gerne noch drei oder vier Tage dranhängen.

Am nächsten Morgen bin ich in der ersten Dämmerung wach. Frühstück ist zwar erst für 6 Uhr geplant, aber in der Main Lodge starten schon die Vorbereitungen und ich bekomme direkt den ersten frischen Kaffee. Damit setzte ich mich auf den Steg und genieße diese unfassbare Ruhe. Die Boote sind schon vorbereitet und warten auf die Gäste. Wie gerne würde ich mir eins davon schnappen und für ein oder zwei Stunden auf den See hinausfahren. Wenn doch nur etwas mehr Zeit bliebe... Aber direkt nach dem Frühstück geht schon weiter. Es ist ja auch kein Urlaub, sondern ein Scouting-Trip. Fest steht, hier komme ich nochmal hin. Am besten mit der Familie für drei oder vier Tage.

Das Frühstück ist richtig gut, leckere Käsesorten, verschiedenster Aufschnitt und frisches Graubrot. Das ist man von Kanada so gar nicht gewohnt. Direkt danach folgt die Abfahrt. Ja, richtig Abfahrt, nicht Abflug. Eine Straße gibt es hier natürlich nicht, aber nach 20 Minuten Fußweg über einen Pfad durch den Wald und über einen kleinen Hügel erreichen wir den hauseigenen Wildnisbahnhof. Und tatsächlich – wenige Minuten später kommt der Zug und hält hier, mitten im nirgendwo. Na ja, eigentlich sind es nur zwei Waggons, einer für Güter und einer für Passagiere. Es steigt eine Gruppe von Vätern mit Kindern aus, die die komplette Lodge für die nächsten Tage gebucht haben, und es werden ganz in Ruhe Unmengen an Material und Kisten ausgeladen. Die Via Rail Mitarbeiter helfen natürlich. Keiner drängelt, niemand schaut auf die Uhr, es wir noch ein bisschen gequatscht und dann können wir langsam einsteigen. Alles ganz gemütlich. Und dann tuckert der Zug los. Auch wieder etwas, das es nur in Kanada gibt.

Die fast dreistündige Fahrt nach Chapleau ist extrem entspannend. Der Zug zuckelt durch tiefgrüne Wälder und an unzähligen Seen vorbei. So sollte man die Lodge Eighty Eight buchen, einen Weg mit dem Wasserflugzeug und den anderen per Zug. In Chapleau wartet schon der Shuttlebus für den Transfer nach Wawa am Lake Superior. Auf den 140 Kilometern ist keinerlei Verkehr, nur ganz selten kommt mal ein Auto entgegen. Und als besonderes Highlight wartet trotz Sonne und Mittagshitze sogar ein Elch am Straßenrand und lässt sich ganz in Ruhe fotografieren.

Mittag gibt es in der Rock Island Lodge, einem gemütlichen B&B auf einer kleinen Halbinsel im Lake Superior. Traumhaft gelegen. Inhaber des B&B ist die Firma Naturally Superior Adventures, die von dort aus eine eigene Kanu- und Kajakschule betreibt sowie mehrtägige Touren entlang der Küste des Sees anbietet. Dass es nur ein See ist, muss man sich immer mal wieder bewusst machen, denn eigentlich fühlt man sich wie am Meer. Fast ein bisschen wie an der Westküste.

Auf dem Weg zum Hotel ist noch ein Fotostopp am Wawa Visitor Centre mit der riesigen Gans, dem Wahrzeichen der Stadt, Pflicht. Das Wawa Motor Inn ist ein klassisches Motel. An der Durchgangsstraße gelegen, einfache, aber saubere Räume, die Autos parken direkt vor der Zimmertür. Mein persönliches Highlight ist aber Young´s General Store gegenüber, ein klappriges Holzgebäude mit zwei Zapfsäulen davor. Im Inneren ist alles relativ chaotisch, aber man bekommt einfach alles – Süßigkeiten, Lebensmittel, Getränke, Kleidung, Elektrogeräte, Souvenirs bis hin zu Grill- uns Angelausrüstung. So etwas habe ich lange nicht gesehen. Sowieso erinnert mich das ganze Setting hier oben an einige einsame Gegenden im Westen vor 20 Jahren. Herrlich. Hier im Norden lohnt sich ein Road Trip, wenn man Einsamkeit und Ursprünglichkeit mag.

Perfekt abgerundet wird das Ganze vom Dinner im erstaunlich großen Pub des Hotels. Dort ist heute Chicken Wing Night. Die Wings sind gut und reichlich und machen mich so müde, dass der Tag schon vor zehn Uhr für mich vorbei ist.

Früh ins Bett bedeutet wieder sehr früh wach. Auch nach den ersten beiden Kaffees und dem Beantworten aller Emails bleibt noch viel Zeit bis zum Frühstück. Ein kurzer Kampf mit dem inneren Schweinehund, dann schaffe ich es doch, meine Laufschuhe anzuziehen. Ich drehe eine Runde vorbei an der Schule, durch das kleine Wohngebiet von Wawa und lande dann im Ortskern und an der Waterfront. Ach ja, der Ort liegt ja am gleichnamigen See. Es gibt sogar einen langen, sehr gepflegten Sandstrand. Richtig schön. Der ganze Ort ist eigentlich netter, als ich gedacht hatte. Aber vorher hatte ich ja auch nur die Durchgangsstraße gesehen.

So, die Bewegung tat ganz gut, vor allem weil ich heute längere Zeit im Auto sitzen werde. Es geht ca. 250 km zurück nach the Sault. Also ein Fahrtag. Klingt erstmal langweilig, aber ich freue mich riesig darauf, denn der Highway schlängelt sich größtenteils an der Küstenlinie des Lake Superior entlang und bietet immer wieder sensationelle Ausblicke. Schon im ersten Teil der Strecke führt der Highway über gut 90km durch den Lake Superior Provincial Park. Und dafür muss man sich Zeit lassen. Eigentlich sollte man sogar mehrere Tage einplanen. Es gibt traumhafte Strände, Wasserfälle, Wanderungen aller Schwierigkeitsgrade (von 30 Minuten bis zu 7 Tagen) und Campingplätze direkt am Wasser. Uns bleibt zumindest die Zeit für eine kurze Wanderung zu den Felsmalereien am Agawa Rock und den Besuch des Visitor Centres. Das sollte man auf jeden Fall mitnehmen. Es gibt eine Ausstellung über den See, das Umland und die Besiedlungsgeschichte und man erhält alle Information und Kartenmaterial zu Wanderungen und Sehenswürdigkeiten im Park. Zum Mittag halten wir am Voyageurs Cookhouse an der Batchewana Bay. Danach noch ein Eis und ein bisschen entspannen am Strand bevor weiter geht.

Am Nachmittag kommen wir in the Sault an und checken im Delta Sault Ste Marie Waterfront ein. Die Lage ist super. Aus meinem Zimmer schaue direkt auf den St. Mary´s River, der Lake Superior mit dem Lake Huron verbindet. Außerdem kann ich von hier oben sehen, dass die Hotelbar eine Terrasse an der Wasserseite. Wenn das kein Zeichen ist! Für ein Bier mit Aussicht ist noch genug Zeit vorm Abendessen. Mit dem Dinner sollte der Abend dann eigentlich gemütlich ausklingen. Aber wir bekommen noch den Tipp, dass hier ab morgen das WTF-Comedy-Festival stattfindet und dass einige der Comedians heute schon ein kostenloses Vorprogramm im Casino spielen. Also nichts wie hin. Das Casino ist gerade mal 10 Minuten Fußweg vom Hotel entfernt. Ganz lustig, in der hinteren Ecke steht eine improvisierte Bühne mit einigen Tischen und Stühlen davor spielen in Kanada durchaus bekannte Comedians ihr Kurzprogramm, während fünf Meter daneben Leute an den Spielautomaten zocken. Gegen elf Uhr ist die Show zu Ende und mein Abend damit auch, denn in dem Spielcasino hält mich danach wirklich nichts mehr.

Morgens darauf werde ich schon wieder vor sechs wach – aber diesmal selbstverschuldet. Da hab ich doch glatt am Abend vergessen die Vorhänge zuzuziehen. Die Sonne strahlt also in mein Zimmer. Da ist es auch viel zu schade, im Bett liegenzubleiben. Also Laufschuhe an und raus an die Waterfront. Blauer Himmel, 9°C und windstill – herrlich. Und es ist nichts los, weder auf dem Fußweg am Wasser noch auf den Straßen. So etwas wie Berufsverkehr kennt man hier scheinbar nicht.

Da die Abfahrt erst für kurz vor neun auf dem Programm steht, gestaltet sich der weitere Morgen sehr entspannt. Nach einer Dusche und ausreichend Kaffee geht es zum Sault St. Marie Canal, der 1895 erbaut wurde und die letzte Lücke für eine durchgängig schiffbare Verbindung vom St. Lawrence Strom zum Lake Superior schloss. Ein Mitarbeiterin von Parks Canada nimmt sich die Zeit und erzählt einiges zur Geschichte und Funktionsweise der historischen Schleuse. Danach bleibt noch etwas Zeit für einen kurzen Spaziergang über das angrenzende Whitefish Island zu einem Aussichtspunkt über die Stromschnellen, die mit dem Kanal und der Schleuse umgangen wurden.

Im Anschluss geht es direkt zum Flughafen und es heißt, Abschied nehmen von the Sault. Auf geht´s nach Thunder Bay. Der kleine Charterflieger bringt uns ruhig und sicher in nur 90 Minuten an unser Ziel. Mit dem Shuttlebus fahren wir direkt zum Bight Restaurant an der Waterfront. Gutes, mediterran angehauchtes Essen und ein toller Blick über den Yachthafen auf den Lake Superior. Das hat tatsächlich so etwas wie Mittelmeerflair. Ich bin absolut positiv überrascht. Hier wird seit einigen Jahren viel Geld investiert. Nicht nur der gesamt Uferbereich wird saniert und parkähnlich gestaltet, auch in die Infrastruktur ist für eine Stadt dieser Größe der Wahnsinn. Es gibt alles, was man sonst nur in Großstädten findet: alle erdenklichen Sportstätten, Freizeit-, Weiterbildungs- und Kulturangebote – bis hin zu einem eigenen Theaterensemble und einem Symphonieorchester. Zudem haben sich viele Läden, Restaurants und Bars wieder im alten Kern in der Näher der Waterfront niedergelassen und tragen so ungemein zur Attraktivität der Stadt bei. All das zahlt sich aus. Im Gegensatz zu früher bleiben von den Absolventen der großen Uni immer mehr in der Stadt und halten diese jung.

Nach dem Mittagessen lerne ich Thunder Bay aus einer anderen Perspektive kennen. Mit der Segelyacht von Sail Superior verbringen wir den Nachmittag vor der Küste. Leichter Wind und Sonne, ein perfekter Tag dafür. Die Tour wird gerade so rechtzeitig beendet, dass aus der leichte Rötung meiner Nase kein ausgewachsener Sonnenbrand wird. Vielleicht beim nächsten Mal doch besser eincremen.

Der Shuttlebus bringt uns zum Marriott Hotel. Das liegt nicht direkt am Wasser, aber dafür sind die Zimmer richtig klasse. Groß und fast nagelneu. Viel Zeit im Hotel bleibt eh nicht, denn um kurz vor sieben ist ein Tisch im Tomlin Restaurant reserviert. Da sollte man nicht zu spät kommen, denn es ist derzeit einer der angesagtesten Läden in Thunder Bay und so gut wie jeden Abend ausgebucht. Die Grundidee dort ist, dass man mit mehreren Leuten am Tisch möglichst viele unterschiedliche Gerichte bestellt und diese teilt. Halt ähnlich wie Tapas. Das ist zugegebenermaßen so gar nicht mein Ding, obwohl die Gerichte wirklich alle ohne Einschränkung super aussehen. Und besonders witzig ist der Kellner, der zu jedem Gericht mindestens fünf Minuten über die Herkunft der Zutaten und die spezielle Zubereitung referiert. Die Rettung findet sich ganz am Ende der Karte – ein aufgeschnitten serviertes Dry Aged Ribeye Steak mit Gemüse und Salat. Auf den Punkt medium rare. Hammer. Ich gehe heute sehr zufrieden schlafen.

Der nächste Tag startet mit purer Vorfreude, denn heute geht es nochmal richtig in die Wildnis! Nach dem Frühstück erfolgt der Transfer direkt zum Flughafen, wo der Buschflieger von Wilderness North schon auf uns wartet. Ziel ist die Miminiska Lodge, etwa 400 Kilometer nördlich von Thunder Bay. Nur wenige Minuten nach dem Start hört unter uns jegliche Bebauung auf und man sieht nur noch endlose Wälder durchzogen von unzähligen Seen. Nach 90 Minuten dreht der Pilot plötzlich ein Rechtskurve und geht in den Sinkflug. Wie aus dem nichts taucht unter uns die Lodge mit der gut sichtbaren Landebahn auf. Wobei... das Wort Landebahn erweckt vielleicht den falschen Eindruck. Bei uns würde man das, was da unter uns liegt, als abgemähten, länglichen Acker bezeichnen. Es ist echt erstaunlich, was die Buschflugzeuge so alles aushalten.

Zunächst gehen wir rüber in die Hauptlodge während das Gepäck zu den Cabins gebracht wird. Das historische Holzgebäude ist mit dem großen Aufenthaltsraum, der Bar und dem Essbereich der zentrale Anlaufpunkt für die Gäste. Wir werden von der Crew der Lodge herzlich begrüßt. Es gibt ein kurzes Briefing sowie einen Snack mit Brot, Käse und Aufschnitt. Außerdem wird meine Frage beantwortet, warum man für den Bau der Lodge eine Stelle so weit ab der Zivilisation gewählt hat. Nicht falsch verstehen – denn gerade diese Lage macht den besonderen Reiz aus. Kein Handyempfang, W-Lan nur dann, wenn der Satellit gerade richtig steht und eine Uhr benötigt man auch nicht. Es reichen eigentlich Sonnenauf- und -untergang als Maßstab. Aber es ist auch ein unfassbarer Aufwand, das gesamte Material hierhin zu transportieren. Das macht man doch nur aus einem praktischen Grund, oder? Die Erklärung ist, dass die erste Lodge bzw. Outpost bereits Anfang des letzten Jahrhunderts hier entstand. Der Miminiska Lake ist ein Teil des Albany River Systems, der vom Inneren Ontarios bis zu Hudson Bay fließt. Und exakt an dieser Stelle führte die historische Handelsroute der Hudson Bay Company vorbei. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Lodge dann ausgebaut und das erste Mal touristisch genutzt. Die gute Nachricht ist, meine Cabin stammt nicht aus der Zeit, sondern ganz neu und richtig gemütlich eingerichtet, sogar mit einem eigenen Holzofen.

So, jetzt aber raus auf den See. Mit den Motorbooten geht es an Inseln vorbei, durch kleine Kanäle und Seitenarme des Sees zu einer Portage, die zu Zeiten der Hudson Bay Company genutzt wurde. Die Wanderung durch den dichten Urwald gerät zu einer warmen Angelegenheit, da man die Jacke schließen und das Moskitonetz überwerfen muss, um nicht an Ort und Stelle von den Mücken komplett ausgesaugt zu werden. An der Lodge und auf dem Wasser waren die Mücken kein Problem, aber kaum ist man einige Meter im Wald, geht es los.

Nach der Wanderung fahren wir im großen Bogen zurück zur Lodge und der Rest des Nachmittags steht zur freien Verfügung. Kanus, Kayaks und Stand-up Paddle Boards liegen für die Gäste immer am Strand bereit. Auch ein Gang in die holzbefeuerte Sauna mit anschließender Abkühlung im See wäre eine Option. Aber ich habe eine andere Idee. Hier am Steg liegen zehn fix und fertig ausgerüstete Angelboote bereit und warten nur darauf genutzt zu werden. Daher frage ich einen der Guides, ob ich mir eins nehmen kann und welche Stelle er zum Angeln empfiehlt. Darauf scheint er nur gewartet zu haben, denn er sagt nur mit breitem Grinsen: „I´ll show you.“ Und zwei Minuten später sitzen wir im Boot und düsen los. Vom Steg bekommen wir noch zugerufen, dass wir vier oder fünf Walleyes für die Appetizer mitbringen sollen. Nur wenige hundert Meter von der Lodge entfernt, an einem kleinen Durchlass zu einem anderen Teil des Sees stoppen wir den Motor und werfen den Anker. Das Wasser ist sehr flach, aber dafür gibt es eine konstante Strömung. Das könnte klappen. Und tatsächlich, nach zwei Minuten habe ich schon den ersten Biss. Der springt zwar noch vom Haken, aber nach mehreren Versuchen landet der erste Fisch im Boot. Die gewünschten fünf Exemplare bekommen wir dann relativ schnell zusammen. Es werden nur Fische einer bestimmten Länge behalten. Natürlich müssen Sie ein vorgeschriebenes Mindestmaß haben, aber sie sollten auch nicht zu lang sein, da sie dann nicht mehr so gut schmecken. Man lernt nicht aus.

Nachdem wir das Boot wieder am Steg festgemacht haben, bleibt noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Sauna schaffe ich nicht mehr, aber ins Wasser muss ich noch. Schnell in die Badehose und rein in den See. Durch den dunklen Untergrund und die geringe Wassertiefe erwärmt sich der See erstaunlich schnell. Ein Thermometer habe ich zwar nicht, aber ich würde mal auf knapp unter 20°C schätzen.

In der Hauptlodge treffen sich alle um kurz vor sieben. Bei einer Runde Billard gibt es kalte Getränke und und schon etwas Fingerfood – der frisch gefangene Fisch wurde zu kleinen Häppchen im Speckmantel verarbeitet. Super lecker. Später, nach dem Dinner, klingt der Abend aus, wie es sich in der Wildnis gehört. Mit einem Lagerfeuer am Strand.

Am nächsten Morgen ist das Frühstück ist für kurz nach neun angesetzt und 45 Minuten vorher gibt es einen Weckservice der besonderen Art: Man bekommt wahlweise frischen Kaffee, Tee oder eine heiße Schokolade zur Cabin gebracht. Klingt verlockend, aber so lange möchte ich dann doch nicht warten. Ich kann von meinem Bett direkt auf den See schauen und natürlich habe ich die Vorhänge wieder nicht zugezogen. Also bin ich wieder beim ersten Tageslicht wach. Um kurz nach sechs versuche ich mein Glück in der Hauptlodge und tatsächlich, in der Küche ist schon Betrieb.

Ich setze mich auf den Steg, genieße meinen frischen Kaffee und die friedliche Stille. Kein Wölkchen am Himmel, ein ganz leichter Wind weht und in der Morgensonne wird es schon angenehm warm. Noch mehr als zweieinhalb Stunden bis zum Frühstück. Was nun? Ich frage kurz in der Lodge, welches der Boote ich nehmen kann und wenige Minuten später bin ich auf dem See. Ich fahre zu der Stelle, an der ich gestern geangelt habe und schipper vorsichtig durch den flachen Übergang in den anderen Teil des Sees. Fast im Standgas fahre ich ganz langsam tiefer in den Seitenarm, um kleine Inseln und schroffe Felsen. Immer in der Hoffnung, vielleicht einen Elch oder Bären zu erspähen. Leider habe ich kein Glück, aber ein Adlerpärchen begleitet mich lange Zeit und scheint mich genau zu beobachten. Wirklich unfassbar schön. Ich vergesse völlig die Zeit und stelle irgendwann erstaunt fest, dass es schon halb neun ist. Also umdrehen. Zum Glück habe ich mir auf dem Hinweg drei sehr markante Inselchen bzw. Felsen als Wegpunkte gemerkt, denn aus aus dieser Perspektive sieht alles komplett anders aus als auf dem Hinweg.

Mit Vollgas geht´s zurück zur Lodge. Am Dock liegt schon das knallorangene Wasserflugzeug von Wilderness North, mit dem wir später zurück nach Thunder Bay fliegen. Ich mache schnell das Boot fest und will gerade los zu Frühstücken, da bekomme ich doch noch meinen Bären! Vielleicht 50 Meter vom Dock entfernt schwimmt ein Schwarzbär quer durch den See, geht dann keine 20 Meter neben meiner Cabin an Land und verschwindet im Wald. Was für ein Schauspiel. Nach dem ausgiebigen Frühstück machen die First Nations Guides noch eine kurze Bootstour mit uns und zeigen uns einige ihrer wichtigen, traditionellen Orte wie z.B. die kleine Friedhofsinsel oder die Stelle, an der früher die großen jährlichen Zusammenkünfte stattfanden. Die Guides sind alle hier draußen in der Wildnis mit einem Mix aus den alten Traditionen und der neuen Welt aufgewachsen, und es ist wirklich spannend, ihnen zuzuhören.

Und dann neigt sich der Aufenthalt in der Miminiska Lodge auch leider, leider schon wieder seinem Ende zu. Zu Abschied gibt es noch ein klassisches Shore-Lunch. Es wird ein Feuer gemacht, darauf kommen zwei große Pfannen voller Öl und darin wird der fangfrische Walleye frittiert. Dazu Brot und frische Salate. Lecker.

Der Rückflug nach Thunder Bay dauert heute über zwei Stunden. Erstens ist das Wasserflugzeug etwas langsamer als die Cessna Caravan vom Hinflug und zweitens haben wir wohl Gegenwind. Wir landen auf dem Lake Superior am Dock von Wilderness North. Als kleine Überraschung werden wir nicht vom Shuttlebus abgeholt, sondern von einem Boot von Sail Superior. Allerdings ist es diesmal kein Segelboot, sondern das nagelneue Spielzeug der Firma – ein großes Zodiak mit zwei Außenbordern mit je 250PS! Und wir machen sozusagen den Testrun. Zum Schutz der Augen bekommt jeder eine Skibrille. Und dann geht es los, Vollgaspassagen, enge Kurve, Sprünge über kleine Wellen. Ein Riesenspaß. Nach 30 Minuten werden wir am Yachthafen abgeliefert und dann bringt uns der Shuttlebus zum Marriott Hotel. Das kennen wir ja bereits und wir bekommen auch genau die gleichen Zimmer wie vorgestern.

Dinner gibt es im Caribou Restaurant + Wine Bar, gut fußläufigt in 15 Minuten vom Hotel zu erreichen. Moderne kanadische Küche mit starkem italienischen Einfluss. Guter Service, sehr angenehme Atmosphäre, leckeres Essen – ein absoluter SK Tipp. Der kurze Fußweg zurück zum Hotel tut zwar wirklich gut, aber danach falle ich um halb elf todmüde ins Bett.

Und dann beginnt auch schon mein letzter Tag in Ontario. Heute Nachmittag steht die Rückreise nach Deutschland an. Bis dahin bleibt aber noch ausreichend Zeit für den Fort William Historical Park. In dem riesigen Freilichtmuseum wurde der historische Handelsposten hier am Fluss originalgetreu wieder aufgebaut. Bei einem geführten Rundgang erfährt man alles über die wichtige Rolle des Postens bei der Entwicklung des Fellhandels und der Hudson´s Bay Company. Ich bin total begeistert. Die Anlage ist einfach großartig und wenn man schon einmal in Thunder Bay ist, darf man das hier auf gar keinen Fall verpassen. Wahnsinnig viel Zeit bleibt uns leider nicht, denn gegen Mittag geht es los Richtung Flughafen.

Auf dem Weg legen wir spontan noch einen schnellen Stopp bei der Sleeping Giant Brewing Company ein. Es ist fast egal, in welches Lokal man in Thunder Bay kommt, überall serviert man die Craft Biere dieser kleinen, lokalen Brauerei. Und ich muss zugeben, nicht alle, aber einige davon fand ich richtig lecker. Durch einen kleinen Laden, in dem man die Biere und allerlei Souvenirs kaufen kann, gelangt man direkt in die kleine Produktionshalle. Keine Kontrolle, keine Sicherheitstür, alles offen zugänglich. Das ist auch so gewollt. Die Kunden können sich die gesamte Produktion bis hin zur Abfüllung aus nächster Nähe anschauen. In einer Ecke der Halle gibt sogar ein komplette Bar. Davor steht ein großer Kerl mit Kappe, Shorts und Flip Flops. Der Chef der Brauerei. Sehr cool. Wir bekommen von ihm direkt mehrere Gläschen mit unterschiedlichen Bieren serviert gedrückt und kommen somit in den Genuss eines spontanen Beer Tastings. Ein netter Abschluss. Denn dann geht es tatsächlich zum Flughafen und es heißt, Abschied nehmen. Über Toronto geht es zurück nach Deutschland.

Es war eine intensive Woche. Ich habe wahnsinnig viel Neues gesehen und erlebt und ich bin wirklich froh, dass ich diesen Trip machen konnte. Ich habe eine Region kennengelernt, die ich bis dahin nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Das hat sich nun grundlegend geändert. Der Nordwesten Ontarios hat für Kanadafans wirklich viel zu bieten. Zum einen sind da natürlich die traumhafte Küstenlinie entlang des Lake Superior, die tollen Lodges, die beiden lebhaften Städte The Sault und Thunder Bay und die endlose Wildnis im Hinterland. Was mich aber besonders beeindruckt hat, ist das Gefühl, noch einen Teil vom ursprünglichen Kanada abseits der Metropolen und Touristenströme bereist zu haben. Das Kanada mit den einsamen Highways, den in der Zeit stehengebliebenen Örtchen, den kleinen General Stores, den verschrobenen Typen und den einfach nur supernetten und gastfreundlichen Kanadiern. Bis zum nächsten Mal!