Mr. Outdoor

Andy Schwaiger ist ein Bär von einem Mann, mit einer Vorliebe für Jeans und karierte Baumwollhemden. Dazu kommen (vermutlich) unkämmbare Haare, buschige Brauen, Fünf-Tage-Bart: Alles schreit Outdoor an dem gebürtigen Tiroler.
Text: Ole Helmhausen Fotos: Rainer Schoof


Kein Wunder, dass das Smartphone, das er hin und wieder stirnrunzelnd aus der Tasche fischt, in diesem Ensemble wirkt wie ein Fremdkörper. Doch während Bären manchmal ganz schön furchteinflößend sein können, ist Schwaiger alles andere: "I bin der größte Canadaholic, wo gibt", strahlt er im besten Tirolerisch. Plötzlich geht die Sonne auf. Und man will nichts anderes, als diesem Kerl in sein Biotop zu folgen, um mit ihm zu wandern, zu paddeln und zu zelten. Und um in der Wildnis alle Fünfe gerade sein zu lassen. Dieser Mann ist einer, der seine Mitte gefunden hat. In Kanada nennt man so jemanden einen Happy Camper.

In einem Büro kann man sich Schwaiger nicht recht vorstellen. Doch er ist nicht nur Guide für Wander-, Ski-, Paddel- und Hundeschlittentouren. Als studierter Betriebswissenschaftler ist er auch Besitzer und Leiter eines in Clearwater (BC) angesiedelten Veranstalters für Abenteuerreisen innerhalb Westkanadas. Dabei hat er die für ihn ideale Kombination von Arbeit und Vergnügen gefunden - jene gesunde Balance, die er jedem empfiehlt, der ernsthaft ans Auswandern denkt. "Viele Leute kommen aus den falschen Gründen hierher. Sie sind frustriert. Sie sagen, zuhause widert mich alles an, das habe ich schon hunderttausend Mal gehört. Die wollen hierher, weil sie Kanada als Tourist erleben. Dann ist natürlich alles rosig. Aber wie hart der Alltag hier ist, davon haben sie keine Ahnung!"

Ganz einfach ist es allerdings nicht zu erfahren, wie Schwaiger in Kanada sein Glück gefunden hat. Nicht, weil er nicht darüber sprechen will. Bei Fragen nach seinem schönsten Naturerlebnis oder seinem Lieblingsort seufzt er erstmal tief - und überlegt. Lange. Nicht weil er nicht darüber sprechen mag. Sondern weil es, ganz einfach viel zu viel zu erzählen gäbe. Man schaltet also um und fragt, wie das eigentlich anfing mit Kanada. Und dann grinst Schwaiger und sagt: "Ich hatte eine Stamm­kneipe in Innsbruck ..." Und was sich anfangs anhört, wie der berühmte erste Satz in Karen Blixens Buch "Jenseits von Afrika", wird tatsächlich eine tolle Geschichte über Leidenschaft und regulierte Kompromisslosigkeit. Denn so ganz ohne Netz und doppelten Boden stürzte sich Schwaiger nicht in große Abenteuer. "Der Besitzer der Kneipe war kanadaverrückt, hatte gerade seine Einwanderung als Reiseveranstalter beantragt und bat mich, einen Geschäftsplan für ihn zu schreiben." Gesagt, getan. Im Gegenzug erhielt Schwaiger über ihn ein Arbeitsvisum. Und so kam der BWL-Student 1989 zum ersten Mal nach Kanada. Was folgte, war ein Intensivstkurs in Tourismus. Der offizielle Guide des neu gegründeten Reiseveranstalters lief bald weg - und Schwaiger musste einspringen. Bereits die erste Tour führte ihn ins Chilcotin, damals noch touristische Terra incognita. "Wir kamen bis zum Tatla Lake und haben da gefischt und dann im Chilko Lake Forellen gefangen, das war unser Ding." Im September machte die kleine Firma jedoch schon wieder dicht. Mit einem Freund kaufte sich Schwaiger einen alten Kombi, einen Station-Wagon, "den mit den Holzseiten, gepennt haben wir hinten drin", und dann haben sie British Columbia von unten bis oben erkundet. Zwischendurch seien sie immer wieder nach Vancouver gefahren, um Gäste zu rekrutieren. Da habe er Blut geleckt, schmunzelt Schwaiger.

Nach diesem Sommer ist er wieder nach Europa, hat Geld als Nachtwächter verdient und ist im Sommer darauf in einer "neuen" alten Karre durch Westkanada gezuckelt. "Mein Bruder und ich haben fast alle Mehrtageswanderungen in den Rockies gemacht und mit einem Kanu die Bowron Lakes!" Zum Schluss wären sie am liebsten gar nicht mehr zurück in die Zivilisation gefahren. "Nach Jasper rein, das war schon fast eine Plage", erinnert er sich schmunzelnd, und dann sagt er den Satz, der seine Leidenschaft für dieses Land auf den Punkt bringt. "Mein Kanada ist nicht auf der Straße. Mein Kanada ist da draußen, irgendwo in der Pampa."

In jenem Jahr wurde Schwaiger kanadasüchtig. Und doch kehrte er nach Europa zurück - "irgendwann musst du ja seriös werden in deinem Beruf" - und half als Unternehmensberater bei der Treuhand in Berlin, die alten VDBs in marktwirtschaftliche Betriebe umzuwandeln. Das Geld während der nächsten drei Jahre war gut, aber in den Ferien gab es nur ein Ziel: Kanada! Auf einem dieser Trips ist Schwaiger dann auf der Wells Gray Guest Ranch hängengeblieben. Er lernte den Besitzer kennen, und eines Tages bat dieser ihn, das Tourengeschäft für ihn zu übernehmen. "Du musst Dir vorstellen, das waren die goldenen neunziger Jahre. Das Business wuchs extrem schnell, auf einmal wollte jeder nach Kanada kommen." Schwaiger schmunzelt wieder. "Ich bat mir ein paar Tage Bedenkzeit aus, hab ihn aber schon nach fünf Minuten zurückgerufen und gesagt, ich komme. Hab alles hingeschmissen und bin rüber. Dann war ich plötzlich in Kanada - and I never looked back!"

In diese Zeit fällt auch das erste Teffen mit Rainer Schoof von SK Touristik. In Münster, im Büro der Kanadspezialisten, warb Schwaiger für sich und seine Firma als neuer Partner für Abenteuertrips in Westkanada. Und so ist es dann auch gekommen und bis heute geblieben. Inzwischen verbindet Schwaiger und Schoof eine langjährige Freundschaft - beide treffen sich wenigstens einmal im Jahr zum gemeinsamen "Scouten" in Kanada.

Im Jahr 2000 schließlich kaufte Schwaiger die Firma und wurde sein eigener Boss. Zuvor hatte er bereits seine Frau Daniela auf einer Inforeise für deutsche Reiseveranstalter kennengelernt. Daniela arbeitete als Produkt-Managerin, und auf dieser Tour ist man sich näher gekommen. "Kann schon sein", grinst Schwaiger, der als Guide mit dabei war, "dass ich die Guide Regel Nr. 1 gebrochen habe! Aber wir haben es sizilianisch gelöst: Wir haben geheiratet!" Die Zwillingstöchter Tiffany und Sarah kamen im Jahr der ersten Selbstständigkeit auf die Welt, kurz darauf wurde ein Haus gekauft und das Büro eröffnet. "In dem Jahr ist extrem viel passiert", lacht der Tiroler. Er kramt sein Handy aus der Tasche, tippt mit spitzem Zeigefinger auf dem Display herum und zeigt stolz ein Bild seiner Töchter. Kanada, sagt er, haben die beiden im Blut. "Wenn ich früher den Van für eine Tour packte, standen die beiden sofort auf der Matte und fragten, Papa, wann geht's los. Die haben den Busch in den Genen. Egal, was sie später machen, was sie hier in jungen Jahren erlebt haben, kann man nicht toppen." Andy Schwaiger hat sich warm geredet, der Zeitpunkt scheint gekommen, ihn noch einmal nach seinen Lieblingsorten in Kanada zu fragen. Und ja, es gibt viele Orte, an denen sein Herz hängt. Vor allem diese: Clearwater, wo er wohnt und wo er mit dem Geschäft groß geworden ist, dann der Clearwater Lake im Wells Gray Park selbst und die Sandstrände dort. Und dann die Tsusiat Falls am Westcoast Trail auf Vancouver Island. "Da fällt das Wasser direkt auf den Strand und bildet einen riesigen Pool, in dem du schwimmen kannst, während draußen im Meer die Grauwale Fontänen blasen." Und überhaupt, Vancouver Island, das ist sein Stichwort. Dort liegt sein heiß geliebtes Orca Camp, und zwar direkt an der Grenze zum wegen seiner Orcas berühmten "Robson Bight Ecological Reserve" südlich von Port McNeill. Er redet nun schneller, man merkt, es ist ihm wichtig, die Stelle liegt ihm am Herzen. "Das Orca Camp liegt in einem nie abgeholzten Urwald mit bis zu 700 Jahre alten Bäumen. Wir haben da einen halbmondförmigen Strand, keinen Sandstrand, sondern ganz feinen Kiesel, tja, und da schlagen wir drei Monate unser Camp auf im Sommer, und von dort starten wir unsere Touren mit dem Seakayak, und wenn wir Glück haben, dann treffen wir auf die Wale. Direkt im Wasser, in ihrem Element, auf Augenhöhe, und das ist natürlich ein ganz besonderes Erlebnis."

Und wie ist das, wenn ein mächtiger Orca auf einen zuschwimmt? Dieses Mal überlegt Andy Schwaiger keine Sekunde. "Du kriegst ganz schön Herzflattern, er ist ja viel größer als Du. Du hast zwar gelesen, dass kein einziger Fall bekannt ist, wo Orcas Menschen angegriffen hätten, aber das beruhigt zunächst überhaupt nicht. Aber dann schaust Du einfach, und der Orca schaut zurück. Es gibt eine nonverbale Kommunikation. Du siehst auch die Kühe mit den Kleinen kommunizieren, die bringen sie ganz nahe an das Kayak heran, das ist schon extrem bewegend. Meine Kinder haben das zum ersten Mal mit drei Jahren erlebt. Da saßen sie vorne im Cockpit, und es kamen vier Wale geradewegs auf uns zu. Die Wale tauchten unter uns durch, im klaren Wasser sahst Du ihre wunderschönen schwarz-weißen Körper, und dann kamen sie auf der anderen Seite wieder nach oben. Das war absolut fantastisch!" Es summt. Schwaiger sagt "Sorry", fischt sein Handy aus der Tasche und sucht eine ruhige Ecke. Mit spitzem Zeigefinger drückt er ein paar Buttons und nimmt das Gespräch an. Eine der Töchter ist dran. Geduldig hört er zu, nickt hin und wieder und sagt am Ende nur "love you, too". Dann gesellt er sich wieder zur Runde, lächelt und sagt nur "Teenager". Doch das ist alles andere als bös' gemeint.