Grizzly-Beobachtung in BC British Columbia, Northern B.C. - Kanada

Es kratzt, es schabt, es schubbert: Nein, kein Traum. Kein Zweifel: Da draußen steht ein 400-Kilo-Koloss von Grizzly und reibt sich an meiner Hütte. Adrenalin, Puls. Bin allein hier drin. Dann Stille. Der Bär trollt sich. Puuh - aber ich hab's ja genau so gewollt. Darum bin ich hier im Tá ish Adventure Camp, hoch im Norden von Kanada.
Text und Fotos: M. Rudlof

Blick auf die Uhr: Es ist drei Uhr nachts. Instinktiv hatte ich schon zum Drucklufthorn gegriffen. Ich beruhige mich selber. "Nein, dir kann in der Hütte nichts geschehen..." Dann Stille, der Bär trollt sich. Mann, so eine Aufregung! Die Anspannung weicht und ich muss lachen. "Junge, Junge, was regst Du Dich so auf? Du hast es doch wirklich genauso gewollt." Genau. Wie jeder Grizzly-Fan, der über Whitehorse (Yukon) hier ins T'á ish Adventures Camp kommt. Mitten in der Wildnis, im entlegenen Norden von British Columbia. "Hast du ihn erkannt?" fragt mich Phil beim Frühstück. Der verführerische Duft von Rühreiern, Speck und knackfrischem Brot hat mich hergelockt. Phil und Ross grinsen. Die beiden haben doch tatsächlich alles beobachtet! "Smokey hat uns geweckt", sagt Phil. Smokey, sein norwegischer Elchhund. Immer wachsam, immer ein Ohr auf das gerichtet, was da draußen los ist. Ja, die beiden Männer haben wirklich alles live verfolgt, nur den Bären konnten sie auf die Entfernung auch nicht erkennen.

Dabei sind sie mit den Grizzlies auf Du und Du. Phil Timpany, Inhaber des Camps, und sein Bärenguide Ross. Phil kennt die Bären seit einer halben Ewigkeit. So wie kaum ein anderer. 30 Jahre war er als Wildnisguide und Tierdokumentarfilmer im dünn besiedelten Norden British Columbias unterwegs. 30 Jahre unter Grizzlies.

Alle Bären sind bei uns im Camp willkommen.
Das T'á ish Adventures Camp liegt tief im Herzen des Taku River Systems. 1,8 Millionen Hektar groß ist das Gebiet und praktisch unberührt. T'á ish bedeutet in der Sprache der Taku River Tlingit etwa soviel wie "mit Lachsen gefüllter Fischgrund". Für Grizzlies also der ideale Platz in Kanada. Tatsächlich ist das Taku River System einer der wichtigsten Migrations- und Lebensräume für die Lachspopulation Südostalaskas. Ich fülle mir eine zweite Portion Rührei und Speck auf. Phil berichtet von tausenden Tagen mit Grizzlies. Davon, dass du mit der Zeit jeden Bären identifizieren kannst, seine äußerlichen Merkmale und seinen Charakter kennen lernst. Rund 70 Grizzlies leben hier rund um das Camp. Jeder von Ihnen hat von Phil einen Namen bekommen. Und nachdem dieser die Spuren hinter meiner Hütte untersucht hat, ist er sich fast sicher: "Ich tippe auf Ace oder Whiteclaws. Danke, Jungs, für die kurze Nacht, wer auch immer es von euch beiden war!"

Ich checke meinen inneren Kalender. Seit drei Tagen fühle ich mich wie Jack London. So lange ist es her, dass mich der Helikopter hier an einem Nebenfluss des Taku River abgesetzt hat.

Nun bin ich Teil des T'á ish Adventures Camps. Eine unglaubliche Gegend. Hierher kehren unzählige Königs- und Buckellachse nach jahrelanger Wanderschaft zum Laichen zurück. Zurück zu ihrem Geburtsort. Ein Festmahl für die Grizzlies. Zu Hause glaubt mir das keiner: 91 Mal habe ich in den vergangenen 72 Stunden Bären gesehen. Den ersten schon 20 Minuten nach meiner Landung. Beim Lachsfang. Nicht im Kino. Hier, direkt vor meiner Nase! Ich komme gar nicht mit dem Nachladen der Kameraakkus hinterher.

Das Frühstück ist vorbei, wir ziehen los. Immer auf festgelegten Pfaden abseits des Flusses. Wichtigste Grundregel: Der Fluss gehört den Bären. Aber auch Grizzlies sind neugierig: Zum Lunch bekommen wir Besuch im Camp. Foamy, eine große 25 Jahre alte Bärin, spielt mit unseren Handtüchern auf der Wäscheleine. "No!" Phil sagt das freundlich, aber bestimmt. Foamy wirkt etwas enttäuscht und trottet gemächlich zum Fluss. Spielverderber.

"Alle Bären sind bei uns im Camp willkommen", sagt Phil, "aber wir haben genaue Regeln, um unsere Sicherheit und die der Bären zu gewährleisten." In der täglichen Sicherheitsbesprechung für Gäste und Mitarbeiter des Camps fügt Ross erklärend hinzu: "Beständigkeit und Berechenbarkeit machen es möglich, dass wir und die Grizzlies friedlich miteinander umgehen."

Meine Zeit rast dahin. Frühmorgens liebe ich es, die Bären von der Terrasse der Hauptlodge zu beobachten. Gleich danach geht es mit einem Guide in die Wildnis. Nachmittags suche ich mir eine Aussichtsplattform in den Bäumen und beobachte das Treiben der Grizzlies und der Weißkopfseeadler. Und eigentlich wünsche ich mir, dass das nie zu Ende geht. Ich bin unter Bären. Gefährliche Raubtiere. Und ich bin so entspannt und energiegeladen wie seit Ewigkeiten nicht.